Michela Murgia: Faschist werden. Eine Anleitung

Salvini, Órban, Höcke. Nur drei von vielen. Im Lichte des allgegenwärtigen Rechtspopulismus schreibt Michela Murgia eine bitterböse Satire auf den politischen Fluchtpunkt dieser Bewegung: Faschist werden. Eine Anleitung (Wagenbach).

Michela Murgia: Faschist werden

Es ist schon unglaublich, dass gut siebzig Jahre nach Ende des Holocaust der Faschismus als politische Idee eine derartige Renaissance erlebt wie gerade. Als hätte uns die Geschichte rein gar nichts gelehrt, marschieren in ganz Europa, ja überall auf der Welt, rechte Gruppierungen wieder in ungeahnter Stärke durch die Innenstädte und brüllen Parolen. Sie sind alle im Detail ein wenig anders, auch sie sind Konjunkturen unterworfen. Im Kern geht es aber immer um das Gleiche: eine »reine«, »einheitliche«, ethnisch vollkommen homogene Gesellschaft. Meist noch begleitet von dem Zusatz »wie damals«. So als hätte es eine solche Gesellschaft jemals gegeben.

Dabei wird natürlich – ganz im Unterschied zu den 1920er-Jahren – der Begriff »Faschismus« tunlichst umschifft. Denn auch wenn die Rechtspopulisten in der Sache absolut nichts gelernt haben, so sind sie in den Grundsätzen von Marketing und Labels doch ganz fit. Anstatt sich mit historisch – rein historisch natürlich – geächteten Konzepten herumzuschlagen, setzen sie einfach neue Begriffe dafür ein – wenn überhaupt. Die Demokratie ist für die meisten Menschen immer noch ein sehr wichtiger Grundwert, also fordern sie beispielsweise unter dem Deckmantel der »direkten Demokratie« eben die Wahl eines Despoten. Demokratisch legitimiert lässt sich heutzutage noch viel ungenierter hetzen.

Michela Murgia muss das Spiel mit den Begriffen, den vielen Deckmänteln und Schafspelzen irgendwann dermaßen über gewesen sein, dass sie sich entschloss, das Kind beim Namen zu nennen. In ihrer bissigen Satire Faschist werden. Eine Anleitung führt sie die Grundwerte, -prinzipien und -taktiken der modernen Faschisten vor und ermöglicht dazu einen scharfen Blick in die Schaltzentren ihrer Protagonisten. Kaum ein Buch, bei dem ich zuletzt öfter gleichzeitig lachen und weinen wollte. Kaum ein Buch auch, bei dem ich fast auf jeder Seite ein Zitat rausschreiben wollte. Es trifft einfach ins Schwarze.

Da ich schon das geübte Spiel der Faschisten mit den Medien erwähnte, hier ein kleines Beispiel dazu:

In diesem rhetorischen Spiel repräsentiert ein weißer Italiener, der eine Frau vergewaltigt, immer nur sich selbst, wohingegen ein schwarzer Migrant automatisch für alle Schwarzen und außerdem alle Migranten steht. Um die Konstruktion des Feindes zu vervollkommnen, ist es nützlich, die Auffassung zu verbreiten, dass das gleiche Verbrechen viel verabscheuungswürdiger ist, wenn es von einem Migranten statt von einem Italiener begangen wird, um damit die Vorstellung zu untermauern, dass der Feind in nichts besser ist als wir, aber schlechter in allem. Und vor allem niemals gleich.

Ähnlich wie Stephen Colbert in seiner damaligen Show Colbert Report schlüpft die Schreiberin in die Rolle der Faschistin, um von innen heraus das Handwerk zu erklären. Der Charakter der Anleitung macht Faschist werden gleichzeitig leicht zu lesen und absurd witzig – wenn es nicht so traurig wäre, dass unser gesamtes politisches Leben momentan durch alle hier dargestellten Schachzüge praktisch ausgebremst wird.

Natürlich wendet sich die Italienerin Murgia in erster Linie ihrem eigenen Land zu. In Italien ist der Begriff »Faschist« weit weniger stigmatisiert als in Deutschland bei einer gleichzeitig höheren politisch-historischen Bedeutung. Doch lässt sich praktisch alles in Faschist werden auch auf Deutschland und andere westliche Länder und ihre Rechten übertragen. Egal wie sie sich nennen, die politische Sehnsucht nach einfachen, klaren Verhältnissen in jeglicher Hinsicht ist ihnen gemein.

Faschist werden. Eine Anleitung von Michela Murgia sprüht nur so vor Wut und Zorn. Dass die Autorin all dies in eine ätzende Satire gießt, ist ein wahrer Segen. Der Text nennt beim Namen, was im täglichen Geschwurbel schnell unter den Tisch gekehrt wird. Wir leben in einer Zeit, die brandgefährlich ist. Unsere Zukunft stand wohl seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr derart auf dem Spiel wie gerade. Faschist werden ist die satirische Aufforderung, aufzustehen gegen den braunen Mob.

Michela Murgia: Faschist werden

Michela Murgia

Faschist werden. Eine Anleitung *

Aus dem Italienischen von
Julika Brandestini

Wagenbach

112 Seiten | 7 Euro

Erschienen im April 2019


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Kategorie Blog, Indiebooks, Rezensionen, Sachbuch

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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