Philipp Böhm: Schellenmann

Eine Kleinstadt, jeder kennt jeden. Eine Fabrik, deren Produkt niemand zu kennen scheint. Philipp Böhm lässt in Schellenmann (Verbrecher Verlag) ein süddeutsches Twin Peaks aufleben und liefert damit ein überaus interessantes Debüt ab.

Philipp Böhm: Schellenmann

Eine Kleinstadt, irgendwo im Badischen. Ein Sommer, der nicht enden will. Der aber auch nichts anderes bereitzuhalten scheint, als die Einsamkeit in ein wärmeres Licht zu tauchen. Auch die Fabrik erscheint wärmer, wenn die Sonne sie so anstrahlt. Genauso der vermüllte Bach dahinter, der dem Fabrikchef Warzenmüller am Herzen liegt. Warum auch immer.

Warum. Ein kleines Wort, eine Frage, die in dieser Kleinstadt immer wieder gestellt wird. Warum gibt es etwa die Fabrik? Einfach nur damit alle Menschen hier irgendetwas zu tun haben, einen Grund, morgens aufzustehen, etwas, worüber sie sich aufregen, das sie von ganzem Herzen hassen können? Denn sonst scheint es nicht viel zu geben in der Stadt.

Außer natürlich ihre Einwohner. Diese bilden ein Kabinett von Kuriositäten, verschrobenen Originalen. Bei denen man nie genau sagen könnte, ob es die Stadt ist, die sie zu dem gemacht hat, was sie sind, oder andersherum. Da ist etwa Warzenmüller. Da ist Hartmann, Jakobs bester Freund, wenn man das sagen kann. Und da ist natürlich Jakob. Und der Schellenmann.

Mit einer trockenen und distanzierten Sprache zeichnet Philipp Böhm in seinem Debütroman Schellenmann ein Bild der süddeutschen Provinz, das in Erinnerung bleibt. Wir begleiten Jakob durch einen Sommer in einer Stadt, die nichts zu bieten hat und in der niemand bleiben will. Außer ihm. Wo in allen anderen Bewohnern der Wunsch nach etwas Besserem alles überschattet, was hier passiert, fühlt sich Jakob angekommen, zugehörig. Vor allem die Fabrik gefällt ihm.

Jakob denkt sich, dass er anders durch die Fabrik läuft als durch andere Räume, nur kann er nicht sagen, auf welche Weise. Er ist erstaunt, dass es ihm gefällt. Er ist wirklich hier, der Tag zerteilt sich in Abschnitte. Es ist auszuhalten. Es ist ein Platz, und solange er in der Fabrik ist, blickt er nicht über die Schulter und kann auch keine Schellen hören.

Die Schellen sind das musikalische, das magische Moment in Schellenmann, sie geben dem Roman eine Tiefe, die das bloße Setting und die dahinplätschernde Handlung nicht hätten erreichen können. Wie das symbolisierte Andere, die tiefste Angst folgt Jakob der Schellenmann, taucht immer wieder auf, wenn Jakob alleine ist. Ist er real, ist er Einbildung? Wahrscheinlich von beidem etwas, aber in jedem Fall ist er das Element, was den Anti-Heimat-Roman auf ein anderes Level hebt.

Denn Schellenmann ist keine bloße Provinzposse, kein Porträt des abgehängten Landes. Es ist eine düstere Anti-Idylle, in der mehr schwelt, als auf der Oberfläche sichtbar ist. Doch es sind weniger die Bewohner, die ihre ganz eigenen Süppchen kochen und dadurch dieses Schwelen verursachen. Es scheint tiefer zu liegen, im Brauchtum des Karnevals, tief in den Abgründen der Vergangenheit begraben. Oder ist es doch nur in Jakob, dem jungen, unsicheren Erwachsenen, der einfach noch nicht seinen Platz gefunden hat?

Philipp Böhms Debütroman Schellenmann wirft einen düsteren wie schrägen Blick in die süddeutsche Provinz. Er verleiht ihr ein abgründiges Mysterium, eine dunkle Stimmung, die mich sehr an Twin Peaks erinnert hat. Ein Roman, der von seiner dichten Stimmung lebt und gerade mit dieser zu überzeugen weiß.

Philipp Böhm: Schellenmann

Philipp Böhm

Schellenmann *

Verbrecher Verlag

224 Seiten | 20 Euro

Erschienen im Januar 2019


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Kategorie Blog, Indiebooks, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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