Außen Roadtrip, innen der Selbsthass einer Nation: Sieben (Voland & Quist) von Ziemowit Szczerek führt nicht nur quer durch Polen, sondern auch ganz tief in das Herz des Landes. Und zu all den Dämonen, die es heimsuchen.
Sieben. Das Buch der polnischen Dämonen. Ich muss ja zugeben, dass ich bei dem Titel erstmal an eine polnische Version des Films von David Fincher gedacht habe. Das ist natürlich kompletter Quatsch, aber so weit entfernt auch nicht. Denn wie in Finchers Klassiker geht es auch hier um Identität, um Gut und Böse, und auch um Katholizismus. Aber weniger im persönlichen Sinne, denn im Fokus steht hier die polnische Nation bzw. die polnische Bevölkerung.
Nun ist der Autor Ziemowit Szczerek nicht als Feelgood-Schreiber bekannt, und das wird er auch mit Sieben nicht werden. Denn das Buch ist höchst kontrovers. Selbst für mich, der ich kein Pole bin. Und da fängt es ja schon an: Sprechen wir von nationalen Traumata, sprechen wir auch davon, dass die Bevölkerung eines Staates eine zumindest einigermaßen homogene Masse ist, die ein ordentliches Paket an Einstellungen, Werten und Normen teilt. Das halte ich nicht erst im Zeitalter der Globalisierung für problematisch. Aber vielleicht spricht da auch ein deutsches Trauma aus mir, wer weiß.
Szczerek fährt mit seinem Protagonisten Paweł quer über die Sieben. Die Sieben ist die längste Autobahn Polens und führt von Krakau bis hoch nach Warschau. Sie ist eine Achse, die Polen in einen westlichen und einen östlichen Bereich teilt. Gleichzeitig geht sie vom beschaulichen, aber lebenswerten Krakau quer durch die Provinz und zahlreiche mittlere bis kleine Städte bis ins politische Zentrum, Warschau. Hier konzentrieren sich Macht und Geld in Polen, hier laufen alle Strippen zusammen.
Paweł ist so etwas wie ein Alter Ego Szczereks. Er schreibt für ein Online-Magazin, das mit Fake News Geld macht. Die Schlagzeile macht den Klick. Paweł ist dadurch zwar den meisten Menschen um einen Schritt voraus, kennt schon die Lügen von morgen. Doch ist er auch noch viel verbitterter als die meisten anderen. Lügen macht stumpf, Menschen für dumm verkaufen noch viel mehr. Kein Wunder also, dass sein Roadtrip von Krakau nach Warschau schnell aus dem Ruder läuft.
Polen. Der Osten in Reinform. Eine lateinische Russland-Version mit riesigen Entfernungen, verschneiten Einöden überall, mit Städten, die den Charme und die Finesse von kaputtgefahrenen Garagensiedlungen versprühen, in denen die Menschen folglich psychisch so ihre Schwierigkeiten haben, weshalb man um das Ganze lieber einen großen Bogen schlägt.
Sieben ist ein Roadtrip, der seine Eindrücke beständig aufnimmt, um daraus gleich in pseudophilosophische Abhandlungen über die Seele der Nation Polens abzudriften. Hasstiraden geradezu, die der Selbsthass Pawełs hier produziert. Ein wenig Liebe kann er sich dabei jedoch auch nicht verkneifen. Am Ende ist es bei ihm wohl so wie bei sehr vielen Menschen: Sie sind in einem komplexen Verhältnis der Hassliebe mit ihrem Herkunftsland. Abneigung und Bindung, Anziehung und Abstoßung halten sich eigenartig die Waage.
Der Roman tut das allerdings nicht. Kalauernde Actionsequenzen ziehen sich teilweise ewig lang durch den Roman, der sonst eher durch ein langsameres Tempo gezeichnet ist. Begegnungen prägen ihn, die Paweł immer wieder neue Facetten seines Landes zeigen, um ihm Raum zu geben, darüber zu reflektieren. Das wirkt bisweilen doch sehr anekdotisch, der Zusammenhang eher konstruiert. Die Handlung ist definitiv keine Stärke von Sieben, auch wenn die eine oder andere Szene nicht schlecht ist.
Die Anziehung produziert der Roman durch die Kompromisslosigkeit Pawełs. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, was ihn Curb your Enthusiasm-mäßig immer wieder reinreitet, gleichzeitig aber einen unterhaltsamen Redeschwall produziert. Gesetzt den Fall, dass man sich in der Geschichte Polens sehr gut auskennt, weshalb ich doch oft raus war. Jeden König bis zurück zu Christi Geburt kriege ich dann doch nicht zusammen, aber gerade darum geht es. Eine weite historische Beschimpfung ohne Grenzen. Auch nicht die des guten Geschmacks. Die wohl eher gar nicht.
So ist Sieben ein wechselhafter Roman voller Hassliebe auf das eigene Land des Protagonisten, Polen. Er ist voller Überraschungen, der Plot mäandert sich durch alle möglichen Genres, ohne Rücksicht auf irgendetwas zu nehmen, während Paweł seinen galligen Senf zu allem dazugibt. So ähnelt Sieben eher Fear and Loathing in Las Vegas als dem gleichnamigen Film. Ein Trip ins innere Polens, oder dem, was Ziemowit Szczerek schon immer dazu loswerden wollte.
Ziemowit Szczerek
Sieben
Das Buch der polnischen Dämonen
Aus dem Polnischen von Thomas Weiler
Voland & Quist
272 Seiten | 22 Euro
Erschienen im Oktober 2019
[…] Diese Rezension erschien zuerst auf Poesierausch. […]