Als sich Linus Giese im Oktober 2017 als trans Mann outet, ist das ein Befreiungsschlag für ihn. Seitdem engagiert sich Linus für die Rechte und Sichtbarkeit von trans Personen, hat sein Innerstes und seinen Körper auf eine Reise geschickt und dabei auch viel einstecken müssen. In seinem Memoir Ich bin Linus (Rowohlt Polaris) zeichnet er die Zeit vor und nach seinem Coming-out auf eindrückliche Art nach.
Wie viele andere Literaturblogger*innen kenne ich Linus schon, seitdem ich anfing mit dem Bloggen. Für mich war und ist er einer der wichtigsten Literaturblogger*innen im deutschsprachigen Raum, sein Blog »Buzzaldrins Bücher« war für mich ein Grund, überhaupt mit dem Bloggen über Literatur anzufangen.
Als Linus sich im Oktober 2017 als trans Mann outete, verfolgte ich seine Transition aus der Ferne, lernte mit jedem seiner Tweets Neues dazu und musste mein eigenes Denken oftmals hinterfragen. Es war beeindruckend, Linus über die Sozialen Netzwerke bei seinem Weg zuzuschauen. In seinem gerade erschienenen autobiographischen Roman Ich bin Linus beschreibt er seine innersten Gefühle und wie er endlich zu dem Mann wurde, der er schon immer war.
Ich habe mein Leben lang versucht, mich vor mir selbst zu verstecken. Ich habe mir vorschreiben lassen, was akzeptabel ist, was liebenswert ist, was begehrenswert ist. Als ich endlich die Kontrolle abgab, kehrte als Erstes die Freude zurück. Dann die Leichtigkeit. Dann die Freiheit.
Sehr offen und persönlich schreibt Linus über seine zweite Pubertät, über Arztbesuche voller Unsicherheiten und Scham, körperliche Veränderungen, die Liebe und sogar über sein Sexualleben. Linus gibt viel von sich preis und lässt auch dunkle Zeiten nicht aus. Als die Hasskommentare aus dem Netz plötzlich Stalkergesichter in der Realität bekommen, wird mir beim Lesen ganz anders, Wut und Unbehagen mischen sich. Wie kann ein Mensch sowas aushalten? Dass ihm in diesen Zeiten die Solidarität seiner Kolleg*innen und bedingungslose Freundschaften der größte Anker waren, sollte uns zeigen, wie wichtig es heutzutage ist, ein Ally zu sein für diskriminierte Gruppen.
Bevor ich Linus’ Memoir gelesen habe, war ich kurz davor, ihm zu schreiben, wie mutig ich das alles von ihm finde. Nicht sein Leben, aber dieses Buch zu schreiben und sich so krass zu öffnen. Zum Glück habe ich das nicht getan, denn auch auf solche Phrasen hält Ich bin Linus eine Antwort bereit. Im hinteren Teil des Buches versteckt sich ein wertvoller Ratgeberanteil, in dem Linus beispielsweise klarstellt, dass er nicht als »mutig« bezeichnet werden will.
Als trans Mann zu leben, ist keine mutige Entscheidung, sondern eine notwendige. ist es mutig, aus einem brennenden Gebäude herauszurennen? Ich finde: nein. Es bedeutet einfach nur, das man nicht sterben möchte.
Und damit hat er vollkommen recht. Darüber hinaus klärt Linus über das Deadnaming auf, darüber, warum trans ein Adjektiv ist und das Gendersternchen nicht einfach aus gutem Willen an »Frau« oder »Mann« rangepackt werden sollte.
Ich bin Linus von Linus Giese ist nicht nur das beeindruckende, augenöffnende Memoir eines trans Mannes, sondern auch ein Gesprächsangebot, das nie generalisierend, nie mit dem Anspruch der absoluten Wahrheit um die Ecke kommt und deshalb so wertvoll ist.
Linus Giese
Ich bin Linus
Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war
Rowohlt Polaris
224 Seiten | 15 Euro
Erschienen am 18.8.2020