Rebecca Makkai: Die Optimisten

Achtung, Achtung! Die folgende Rezension kommt weder von Juliane noch von Stefan, sondern von Philipp. Ab sofort wird es hier des Öfteren Besprechungen von unserem guten Freund Philipp zu lesen geben – vorrangig zu Büchern mit queeren Themen. Schön, dass du uns mit deinen Texten bereicherst, lieber Philipp! Los geht’s mit seiner Rezension zu Rebecca Makkais Die Optimisten (Eisele Verlag).

Rebecca Makkai: Die Optimisten

Auch wenn uns Corona im Moment ganz besonders beschäftigt – sie ist nicht die einzige Pandemie, die gerade auf der Welt tobt. Ganze zwanzig Krankheiten stuft die Weltgesundheitsorganisation derzeit als Epidemie oder Pandemie ein. Ein Kürzel finden wir nicht mehr auf der Liste: HIV. Auch wenn 19 Millionen Menschen weltweit mit dem Virus infiziert sind, gilt das Virus dank moderner Therapien und dem verbesserten Zugang zu Medikamenten nunmehr als »wichtiges globales Gesundheitsproblem« – das für die meisten Menschen im Alltag gar keine Rolle spielt.

Gar keine Rolle? Nicht ganz. Denn das Virus hat die Art und Weise, wie wir leben und vor allem lieben, für immer verändert. Wie, das zeigt Rebecca Makkai in ihrem 2018 veröffentlichten Roman The Great Believers, der 2020 erstmals in deutscher Übersetzung unter dem Titel Die Optimisten erschien.

Los geht es im Jahr 1985 in Chicago. Yale, ein junger, schwuler Kunstexperte startet gerade erst in seinem neuen Job – er soll die Kunstsammlung einer Universität aufbauen – und träumt von einem kleinen Haus mit seinem Freund Charlie. Dieser war es auch, der Yale die schwule Seite Chicagos zeigte, Orte an denen Yale, Charlie und ihre Freunde offen schwul sein konnten – Orte, die ab Mitte der 1980er Jahre immer leerer werden. HIV, das damals noch nicht so hieß und fast ausschließlich mit schwulen Männern in Verbindung gebracht wurde, wütet in ihrer Community. Einer nach dem anderen infiziert sich, einer nach dem anderen stirbt. Wie der Tod junger, schwuler Männer zum traurigen Alltag wurde, zeigt Makkai gleich zu Beginn – der Roman startet auf einer Beerdigung. Parallel dazu – die beiden Erzählstränge werden Kapitel für Kapitel abwechselnd erzählt – führt uns Makkai in das Jahr 2015, nach Paris. Hier ist Fiona auf der Suche nach ihrer verschwundenen Tochter Claire, die erst von zu Hause weglief, sich dann einer Sekte anschloss und nun mit kleinem Kind in der Stadt lebt.

Rebecca Makkai erzählt diese beiden Geschichten erst langsam, später mit größeren Schritten. So führt sie die Figuren behutsam ein und gleichzeitig wird immer deutlicher, wie die beiden Zeitebenen miteinander verwoben sind. Immer klarer wird: Alles ist miteinander verbunden. Das wirkt beim Lesen manchmal etwas konstruiert, stattet aber die Beziehungen der Figuren zueinander mit großer Spannung und Komplexität aus. Diese starke Verwobenheit ist es, die Makkai erlaubt nachzuzeichnen, wie die HIV-Pandemie der 80er in vielen Biografien noch bis heute wirkt.

»Diese Krankheit vergrößert alle unsere Fehler«, sagte er zu Cecily. »Irgendeine Dummheit, die du mit neunzehn begangen hast, das eine Mal, bei dem du nicht aufgepasst hast. Und dann stellt sich heraus, dass es der entscheidende Tag deines Lebens war.«

Vor allem in die Kapitel, die in den 80er-Jahren spielen, mischt Makkai viel Lokalkolorit (Chicago ist schon länger auf meiner Bucket List und rutschte flugs ein paar Plätze weiter hoch) und historisches Wissen. Die Chicagoerin hat sich detailliert mit der HIV-Epidemie und dem Sterben in schwulen Communities auseinandergesetzt. Sie beschreibt so nicht nur, wie die schwulen Viertel immer leerer wurden (dafür Krankenhäuser und Friedhöfe umso voller), sondern wie sich das schwule Leben selbst veränderte:

Ich habe das Gefühl, wir sind alle in einem riesigen Kreislauf gefangen, in dem jeder jeden verurteilt. Da haben wir nun unser Leben lang umzulernen versucht, und jetzt das.

Denn HIV ist mehr als nur ein Virus: Es brachte Stigma und (noch mehr) Diskriminierung, warf die schwule Befreiungsbewegung (und auch viele individuelle Freiheitskämpfe) um Jahre zurück. Zweifel, Angst und Scham dominierten stärker denn je die Welt der schwulen Liebe. Und davon sind viele schwule Männer bis heute nicht frei.

Rebecca Makkai ist eine großartige Erzählerin, die uns in Die Optimisten auf eine Reise in eine gar nicht so ferne Vergangenheit mitnimmt. Der Roman ist voll mit packenden Themen und interessanten Figuren, die mir alle ziemlich ans Herz gewachsen sind und die ich gern noch näher kennenlernen würde. Vielleicht ist das Buch ja auch Stoff für ein neues Ryan-Murphy-Projekt? Ich wäre sofort dabei.

Rebecca Makkai

Die Optimisten
Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell

Eisele Verlag

624 Seiten | 24 Euro

Erschienen am 30.3.2020

Kommentar verfassen