Es wird wieder kurz angerissen, diesmal mit Verbundensein von Kae Tempest, Tamina Blue von Mareike Fallwickl und Wie man illegal einen Wald pflanzt vom Katapult Verlag.
Kae Tempest: Verbundensein
Zoom-Calls und sonstige Online-Formate haben in der Pandemie versucht, das zu ersetzen, was zuvor für die meisten Menschen, mich eingeschlossen, ganz selbstverständlich und unsichtbar war: direkten menschlichen Kontakt. In Verbundensein schreibt Kae Tempest während der Pandemie über ein Gefühl, das im Zustand des kalten Entzugs aller direkten Kontakte erst so richtig sichtbar wurde.
Der Essay ist aber kein Rundumschlag, keine Kulturgeschichte der Kommunikation, der Empathie oder ähnliches. Tempest beschränkt sich auf die Kreativität als Grundpfeiler, der Kunst aus einem etwas esoterischen allgemeinen Verbundenheitsgefühl heraus erschafft und in der Performance dann eine Verbundenheit, eine Dynamik entstehen lässt, die schwer mit anderen Erlebnissen vergleichbar ist. Theoretisch hinterlegt ist das alles nicht, das postdramatische Theater, Performance-Theorie oder Schreibprozessforschung kommen nicht vor. Der Essay bleibt sehr im Persönlichen – und wenn er ganz darauf setzt, ist er auch am stärksten, die allgemeineren Teile wirken eher etwas hilflos. Wenn Tempest aber frei über den eigenen Werdegang schreibt, ist dies ergreifend und inspirierend, kurzweilig und berührend.
Übrigens: Über Tempests Verbindung zur antisemitischen BDS-Kampagne empfehle ich dieses Interview von 2019 mit dem Spiegel. Für mich immer noch ein zu gedankenloser Umgang mit dem Thema, aber immerhin eine klare Absage an Antisemitismus. [s]
Kae Tempest: Verbundensein | Suhrkamp nova | 138 Seiten | 12 Euro
Mareike Fallwickl: Tamina Blue
Als Tamina Blue ermordet wird, ist das Maß endgültig voll. Im Zeichen ihres Vermächtnisses schließen sich Frauen unterschiedlichster Herkunft und Gesinnung zusammen, bilden Banden, holen sich das zurück, was durch gläserne wie steinerne Wände versperrt ist. Es ist eine ebenso verzweifelte wie entschlossene Gewalt, aufgestaut in Jahrhunderten der Unterdrückung, der patriarchalen Bevormundung, der Femizide und strukturellen Benachteiligungen.
Mareike Fallwickls Text ist ein Ausbruch. Eine Gewaltfantasie, die in drastische Worte fasst, was trotz immer offensichtlicherer patriarchaler Strukturen selbst in den entwickeltsten Industrieländern immer noch nicht wirklich passieren will: echte Veränderung im Verhältnis der Geschlechter, Gleichberechtigung, die über den Einsatz von Frauenbeauftragten hinausgeht. Der Text münzt den Frust über das Ausbleiben von Veränderung in kraftvolle Sätze um, die wenig auf eine möglichst literarisch-grazile Stilistik geben, sondern allein auf Wucht getrimmt sind. [s]
Mareike Fallwickl: Tamina Blue | Das Gramm #4 | Abo für 24 Euro im Jahr
Katapult: Wie man illegal einen Wald pflanzt
Südeuropa brennt, Südwestdeutschland versinkt unter Wassermassen. Was liegt da näher, als das zähe Rumgeeier der Politik Rumgeeier sein zu lassen und selbst Hand anzulegen beim Klimaschutz. Ein klein wenig kann ja jede*r selbst tun. Am Ende geht das so weit, dass jede Kaufentscheidung politisch ist, darüber entscheidet, ob Nachhaltigkeit befördert wird oder nicht.
Doch auch abseits vom privaten Konsum gibt es Möglichkeiten. Der Katapult Verlag nimmt sich mit Wie man illegal einen Wald pflanzt einer auf den ersten Blick einfachen Idee an: Wenn die Politik schon nichts tun will, dann packen wir einfach überall Setzlinge in die Natur. Klingt leider leichter, als es dann ist. Das Buch gibt einen sehr fundierten Überblick über die rechtliche Lage und Beispiele, wie es andere (und auch der Verlag selbst) schon machen. Illegal kann nämlich nicht nur teuer werden, sondern auch schnell wieder weg sein.
Worauf das Buch aber vor allem eingeht, sind die Hard Facts zu Wald und Bäumen. Was ist eigentlich ein Wald, was macht ihn aus, wo gibt es die meisten, und wie geht es dem deutschen Wald bei uns vor der Tür? Um Letzteres kurz zu beantworten: schlecht. Der deutsche Wald wurde nämlich wie so viele Wälder weltweit als schnell wachsende und damit ökonomisch besonders flott ausbeutbare Monokultur angelegt, was nie eine gute Idee ist. Kein Wunder, dass das Waldsterben – etwa im Harz – sofort ganze Hänge betrifft.
Ein Buch, das toll gestaltet ist, gute Informationen enthält und nachhaltig produziert wurde, kann nie falsch sein. Wie man illegal einen Wald pflanzt geht zwar ein wenig am etwas reißerischen Titel vorbei, ist aber ein ebenso schönes wie informatives Kleinod. [s]
Wie man illegal einen Wald pflanzt | Katapult | 176 Seiten | 18 Euro