Camila Sosa Villada: Im Park der prächtigen Schwestern

Furchtbarer Titel, tolles Buch: Im Park der prächtigen Schwestern von Camila Sosa Villada erzählt aus dem Leben einer trans Frau im Argentinien der frühen 2000er. Knallhart und einfühlsam zugleich.

Camila Sosa Villada: Im Park der prächtigen Schwestern

Mit welchem Adjektiv belegt man Menschen, die das Leben nehmen, wie es kommt, und selbst im schlimmsten Moment ihr Schicksal akzeptieren, um sich zumindest das letzte Stück Würde zu bewahren? Die sich ohne Geld Kleider zurechtmachen, die pompös aussehen sollen? Zum einen, um nicht nur Frauen zu sein, sondern auch als Frauen wahrgenommen zu werden von einer Gesellschaft, die sie verachtet. Zum anderen aber auch um Freier auf sich aufmerksam zu machen, da Sexarbeit die einzig mögliche Form ist, um Geld zu verdienen. Na, welche Adjektive fallen euch ein?

Zumindest mir würde »prächtig« nicht über die Lippen kommen. Da wurde wohl etwas zu viel Pose geschaut, oder vielmehr auf die gleiche Zielgruppe bei der Titelfindung gesetzt. Natürlich ist es schwer, das Thema Transsexualität, ohne zu naheliegende Klischees zu bedienen, anzusprechen und dann auch an ein breiteres Publikum zu verkaufen. Aber ein klein wenig mehr hätte vielleicht kommen können.

Sei es drum, denn hinter dem fürchterlichen Titel versteckt sich ein wunderbarer Roman. Vielleicht ist auch das zu blumig, denn Im Park der prächtigen Schwestern ist hart, richtig hart. Der Roman schildert aus der Sicht der Ich-Erzählerin Camila einerseits das Aufwachsen als trans Mädchen in der argentinischen Provinz und andererseits das junge Erwachsenenleben in der Provinzhauptstadt, wo sich Camila zusammen mit anderen trans Frauen mit Sexarbeit über Wasser hält.

In den Nächten meiner Kindheit hörte ich meine Eltern aufeinander einschlagen. Alles spiegelt sich: Ich suche die Gewalt, ich provoziere sie, ich tauche hinein wie in ein Taufbad. Ich bin eine Prostituierte, gehe nachts durch die Straßen, wenn Frauen meines Alters eigentlich im Bett liegen und schlafen. Auf meinem Weg durch die Straßen bin ich vorgesehen in Plänen, die von Gewalt, aber auch von solchen, die vom Begehren handeln. Ich nehme teil daran, indem ich die Gewalt wiederhole, unter der ich geboren wurde, im eingeübten Ritual auf die Eltern zurückkomme, noch einmal die Eltern bin, diesen Leichnam Nacht für Nacht zu neuem Leben erwecke.

Mit Absätzen wie diesen verschlägt Camila einem beim Lesen immer wieder die Sprache. Der Roman ist getragen von einer schlichten Klarheit, in der eine Gewalttat nach der nächsten geschildert wird. Es sind dabei nicht nur die Nächte, die Camila selbst mit gewalttätigen Freiern, Polizisten oder den Eltern durchstehen muss. Auch die Geschichten ihrer Gefährtinnen haben ihren Platz.

Vor allem Tía Encarna spielt dabei eine zentrale Rolle. Um sie dreht sich auch der Plot, wenn man es so nennen möchte. Eines Nachts finden die Frauen einen Säugling im Gebüsch des Parks, in dem sie arbeiten. Tía Encarna nimmt sich ihm an und versucht, gegen alle Widerstände dem Kind eine Mutter zu sein. Eine Mutter, die die Gesellschaft um sie herum nie akzeptieren wird – in jedem Fall nicht in den frühen 2000ern, in denen der Roman angelegt ist. Aber auch heute wäre dies wohl kein leichtes Unterfangen.

Im Park der prächtigen Schwestern ist aber weniger vom Plot getragen, als dass der Roman die Geschichte der Protagonistin in kleinen, meist in sich abgeschlossenen Episoden erzählt. In ihrer Abfolge erzeugen sie einen mächtigen Abwärtsstrudel, in dem die Gewalt immer weiter die Oberhand gegen die lichten Momente der Verschwesterung im Haus von Tía Encarna gewinnt.

Beeindruckend ist dabei, dass Camila trotz allem keine pathetische Leidensgeschichte erzählt, nicht um Mitleid bittet, in keiner Form. Der Roman ist vielmehr Zeugnis des Schicksals, das sie wie ihre Freundinnen als trans Frauen ihrer Zeit angenommen und akzeptiert haben. Sie sind trans, und alles, was ihnen angetan werden mag, wird niemals das Leid übersteigen, sich zeitlebens verstellen zu müssen, eine männliche Rolle zu spielen, die ihnen aufgrund ihrer genetischen Disposition zugewiesen wurde. Literarisch aufgepeppt wird das ganze durch surreale Einsprengsel, die an Gabriel García Márquez oder Jorge Luis Borges denken lassen und dem Roman eine assoziative Reflexionsebene hinzufügen.

Don‘t judge a book by its title: Im Park der prächtigen Schwestern ist ein starker, weil harter wie unnachgiebiger Roman über trans Frauen in Argentinien, der seine Erzählung weit übersteigt. Er ist ein Fingerzeig auf immer noch grassierenden Klassismus und weiter bestehende Transfeindlichkeit. Und doch ist der Roman auch getragen von einem unverrückbaren Willen zu einem ehrlichen, unverstellten Leben und einer Stärke, die beinahe unfassbar scheint.

Villada: Schwestern

Camila Sosa Villada

Im Park der prächtigen Schwestern

Aus dem Spanischen von Svenja Becker

Suhrkamp nova

220 Seiten | 14,95 Euro

Erschienen im Januar 2021

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Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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