[class] #8 »Rassismus der Klassengesellschaft« mit Nadire Biskin, Houssam Hamade und Mehdi Moradpour

»Let’s talk about class« geht in die mittlerweile achte Runde. Zum Thema »Rassismus der Klassengesellschaft« waren Nadire Biskin, Houssam Hamade und Mehdi Moradpour zu Gast bei Daniela Dröscher und Michael Ebmeyer im Berliner ACUD.

In der Soziologie ist das Dreieck von race, gender und class mittlerweile ziemlich anerkannt als erste Ebene intersektionaler Verortung von Diskriminierungserfahrungen. Gerade in der Position der Betroffenen ist es aber oft schwierig zu differenzieren. Mit Nadire Biskin, Houssam Hamade und Mehdi Moradpour waren heute drei weithin als migrantisch gelesene Personen bei »Let’s talk about class« zu Gast, um über ihre eigenen Erfahrungen zu sprechen.

Nadire Biskin ist neben journalistischen und schriftstellerischen Tätigkeiten auch Lehrerin. Die im Wedding aufgewachsene Berlinerin mit türkischen Wurzeln hebt dabei hervor, dass dieser Beruf sehr beliebt bei Menschen sei, die aus der Arbeiterklasse kommen. Als oft erste Studierende ihrer Familien seien sie vor allem auf Sicherheit bedacht. Kein Wunder, dass Schule oder auch andere Beamt*innenberufe hier beliebt seien.

Biskin liest aus dem hier bereits bekannten Sammelband check your habitus, für den sie ebenfalls Texte beigesteuert hat. Den gesammelten Reaktionen auf klassistische und rassistische Erfahrungen ist vor allem die Überwältigung durch die herabsetzenden Handlungen der Mehrheitsgesellschaft gemein. Auch Nadire Biskin erfährt gerade dies in ihrem Beruf noch bis heute.

Tief in der Berliner Club- und Alternativkultur verwurzelt ist der Journalist und frühere Türsteher Houssam Hamade. Über eine äußerst verschlungene Bildungsbiographie landete er am Ende in der linken Szene Berlins und las am heutigen Abend neben feministischen und anti-rassistischen Werken auch und – für heute besonders wichtig – Pierre Bourdieu. Dieser eröffnete ihm mit seinen Feinen Unterschieden einen differenzierten Blick auf soziale Milieus, in denen sich auch race, class und gender kreuzen.

Im vielbeachteten Deutschlandfunk-Feature »Die verachtete Unterschicht« berichtete Hamade bereits detailliert davon. Heute liest er aus einem anderen Text, der eine Bewegung von den USA nach Deutschland vollzieht. Die strukturelle Diskriminierung von Schwarzen in den USA ist gerade für den Blick von außen kaum verstellt. Bei als migrantisch gelesenen Personen in Deutschland ist das schon schwieriger, gerade wenn man als solche schreibt. Doch der weite Bogen kann den Blick schärfen für die Momente, in denen vor allem Klasse und race ineinandergreifen, wie etwa in den Schulen von »Problembezirken« der deutschen Großstädte oder auch rassistischen Bestellern wie Deutschland schafft sich ab von Thilo Sarrazin.

Zuletzt spricht Daniela Dröscher mit Mehdi Moradpour. Der Dramaturg der Münchner Kammerspiele kam 2011 aus Teheran nach Deutschland. Er liest aus einem autobiographischen Text, der im Rahmen der #metwo-Debatte entstand. Die ins Absurde gesteigerte Posse kreist dabei trotz aller Lacher um einen traurigen Kern, nämlich die verächtliche Behandlung des Verfassers durch Deutsche, die ihn aufgrund seines Aussehens vorverurteilen – aller eigener Aufklärung oder Selbstreflexion zum Trotz.

Auf die Frage, wie sich Bewegungen wie #metoo und #metwo in intersektionaler Weise zusammendenken ließen, bleibt Moradpour dann doch lieber bei der Differenz, also dabei, sexistische und rassistische Diskriminierung für sich zu betrachten, wo dies angebracht ist. Dies ist vielleicht auch in seiner zurückhaltenden Art ein Fazit des Abends: Formen von Diskriminierung lassen sich oft sehr schwer voneinander trennen, insbesondere für Betroffene. Gerade die klassistische Diskriminierung lässt sich extrem schwer von rassistischen und sexistischen Formen unterscheiden. Unter anderem wird auch die Abwesenheit von Daten hier ins Feld geführt, welche darauf fußt, dass Deutschland sich politisch eben nicht als Klassengesellschaft begreift und Unterschiede deshalb vielfach nicht statistisch erfasst werden.

Ein kleiner Exkurs sei noch hervorgehoben. Allen Protagonist*innen des heutigen Abends ist gemein, dass sie – haupt- oder nebenberuflich – in der deutschen Kulturlandschaft tätig sind. Gerade der Begriff der »Kultur« wird aber in den letzten Jahren immer mehr zum Kampfbegriff rechter Gruppen, um gesellschaftliche Hierarchien zu markieren. »Deutsche Leitkultur« etwa ist einer dieser Begriffe, das ihr zugehörige Kulturgut – wie hier etwa prominent besprochen der Memminger Fischertag – nicht selten Ausdruck rassistischer wie sexistischer Diskriminierung. Doch auch klassistische Muster treten bei genauerer Betrachtung immer wieder hervor.


Den ganzen Abend zum Nachschauen gibt es hier:

Die nächste Diskussion findet zum Thema »Mythos Mittelschicht« statt.

Kategorie Blog, class
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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