Dieser Nacht wohnt ein Zauber inne – daran lässt Fromme Wölfe, der Debütroman des Berliner Schriftstellers und Kreativen Kevin Junk, keinen Zweifel.
Der Roman nimmt uns mit in eine Berliner Partynacht – und tanzt selbst nach ihrer Choreographie. Wir starten mit den fünf Protagonist*innen Tom, Kala, Viktor, Erik und Lars in einen herbstlichen Berliner Samstagabend. Die fein geschnitzten Figuren, die manchmal authentischer scheinen, als es echte Menschen sein könnten, kennen sich anfangs nicht. Unterschiedliche Wege führten sie nach Berlin, ihre Alltagsleben könnten unterschiedlicher kaum sein. Da ist zum Beispiel der Partynovize Tom. Er lebt in einer monogamen Beziehung mit einem etwas älteren Mann. Die wilde Seite Berlins, die ihn in die Stadt lockte, kennt er aber bislang vor allem aus seinen Erzählungen.
Er wollte einem schönen Mann verfallen. Sich verlieben: in der U-Bahn, beim Einkaufen, überall, egal wo, schöne Männer. Wahrscheinlich bin ich selbst schuld, dachte sich Tom. Sobald er das Haus verließt, schrie jede seiner Gesten: Ich bin jung! Ich bin da! Erkenn mich! Sieh mich! Nimm mich wahr! Mach was mit mir! Aber der Schrei verhallte zumeist, zumindest hatte er keine Konsequenzen.
Ganz anders Kala, die wir am Samstagabend beim Ketaminkauf begleiten und die sich später als Priesterin im Strobolicht des Berghain inszeniert.
Je weiter die Nacht voranschreitet, desto mehr steuern die fünf unbewusst auf das selbe Ziel – den Club, die Berliner Technoinstitution Berghain. Kevin Junk lässt seine Figuren aber nicht aufeinander zulaufen. Viel eher nähern sie sich tänzelnd, angetrieben vom gemeinsamen Wunsch nach Zerstreuung, Erleben, Sex, Intimität und Selbsterfahrung. An jeder Stelle im Roman könnte die Geschichte ganz anders laufen – jede Figur könnte einen anderen Pfad in dem drogengeschwängerten Flussdiagramm nehmen. Dass sie es nicht tun, zeigt die Magie einer Nacht, die sich weder vorausdenken noch reproduzieren lässt.
Der Rausch einte die Seelen.
Das wirft die Frage auf, was der Roman will. Denn Fromme Wölfe will mehr, als die Berliner Nächte der 2010er für die Nachwelt konservieren (oder für die wiedererfahrbar zu machen, die dabei waren und sich nicht erinnern können). Etwas hybrid, weil nie am Geschehen unbeteiligt, wird auch Kritik an den schier endlos scheinenden Nächten laut und an der fordernden Feierkultur deutlich.
Menschen, die Rebellion nicht mehr kannten, weil die Freiheit ihnen mehr zu schaffen machte als die Vorschriften, frei von jeder Sehnsucht, weil alles, was sie wollten, vor ihnen lag – zumindest wollten sie das in ihrer privilegienverseuchten Gegenwart glauben und hatten deswegen für das Jetzt nichts mehr als einen gelangweilten Gesichtsausdruck parat.
Damit legt Fromme Wölfe nicht nur die Magie einer Clubnacht offen, sondern auch ihren Zynismus. Sind den Nächten des immer druffer, immer länger nicht längst das Leistungsparadigma der neoliberalen Gesellschaft eingeschrieben, dem die Feiernden versuchen zu entfliehen? Denn auch unseren fünf Protagonist*innen geht es beim Tanz nicht mehr nur ums Tanzen – letztlich helfen ihnen am Ende nur neue Wachmacher, um weiter durchzuhalten. Die Musik ist dabei längst in den Hintergrund getreten. Der Tanz nährt sich vom Rausch.
Ohne aufdringlich zu sein, lässt der Roman damit wichtige Themen anklingen. Viel besser funktioniert Fromme Wölfe für mich aber als Coming-of-Age-Roman, der Töne zeichnet zwischen dem Gefühl des Verlorenseins und dem Finden der eigenen Stimme. Vor allem Toms Geschichte hat mich sehr berührt.
Wenn Tom wirklich frei sein wollte, musste er sich von allen anderen lossagen und ihnen auf Augenhöhe begegnen, anstatt ihnen sein Leben anzuvertrauen.
Was hätte so viel Mut mit mir in meinen Zwanzigern gemacht? Ich weiß es nicht. Was ich aber sagen kann: Wer an einfühlsamen Coming-of-Age-Romanen Freude und an Berliner Clubkultur Interesse findet, hat mit Fromme Wölfe eine passende Lektüre.
Kevin Junk
Fromme Wölfe
Querverlag
288 Seiten | 18 Euro
Erschienen im März 2021
Klingt lesenswert. Habe das mit der Clubkultur nie verstanden, vielleicht erhellt das ein wenig.