Trauma und Verdrängung im Vorzimmer: Staubfänger von Lucie Faulerová bewegt sich zwischen den Extremen und gibt überaus intimen Einblick in das Seelenleben einer jungen Frau.
Unser Bewusstsein ist zu sonderbaren Verrenkungen in der Lage. Es kann unliebsame bis traumatische Ereignisse in geistige Alufolie verpacken, sie ganz weit hinten im Schrank unserer Erinnerungen verstecken und dann ewig viel knallbunten Nippes davor verteilen, dass einfach kein Weg mehr hinführt. Und trotzdem stinkt das Päckchen aus der letzten Ecke und verpestet die Luft, die wir zu einem gesunden Leben brauchen. Aber wo kommt der Gestank nur her?
In Staubfänger von Lucie Faulerová geht es der Protagonistin Anna schlecht. Ihr Inneres hat sich in ihrer Wohnung zum Ausdruck gebracht. Alkohol, Zigaretten und vergessene Essensreste dominieren den Eindruck, dazu Kram überall, Staubfänger, und ein Schlafzimmer, das nicht mehr betreten werden darf. Ihr Leben ist aus den Fugen geraten, doch dringt die Nachricht nicht ganz zu ihr durch.
Für Anna funktioniert alles noch gut, sie hält ihr minimales Sozialleben mit ihrer Schwester mehr schlecht als recht aufrecht, hat gelegentlich Dates. Auch wenn beides immer schlimmere Verläufe nimmt, will sie sich nicht beschweren – kann schließlich mal passieren, das Leben ist eben kein Ponyhof. Durchhalteparolen überall, dazu gerne auch ein paar kleine Lüge, um sich selbst einzulullen.
Es ist zwei Uhr früh, mein Arsch ist aus Holz, genauso wie der Parkettboden hier, auf dem ich schon seit einer Weile sitze. Sonst schlummere ich um diese Zeit meist voller Zufriedenheit in die Decke eingewickelt, und warte geduldig auf einen Albtraum. Aber heute kommt die Müdigkeit nicht. Die unendlich ruhige One-Woman-Show wird langsam langweilig und grenzt an Peinlichkeit, das unendlich ruhige Leben, ich, unendlich langweilig, über mich gibt es nichts zu erzählen, im Ernst, der Erzähler wartet mit verschränkten Händen oder schenkt mit Portwein nach, um meinen Abgang in den Limbus zu beschleunigen. Er langweilt sich.
»Staubfänger« wird von Anna erzählt, die zu Anfang ziemlich selbstbewusst drauflosätzt. Natürlich hat sie auch Zweifel, verherrlicht ihr Leben nicht, die Verharmlosung ihres Zustands fällt ihr aber noch ziemlich leicht. Der rätselhafte Erzähler, der in ihren Beschreibungen immer wieder auftaucht, lässt jedoch schon erahnen, dass hier nicht alles gut ist. Mit der Zeit wird er immer mal wieder das Ruder des Erzählens übernehmen, wenn es Anna zu viel wird. Das gefällt ihr nicht, sie mag ihn nicht, aber sie braucht ihn doch.
Der Roman schafft es wunderbar, im Laufe der Erzählung immer neue Schichten von Annas angeschlagener Psyche sichtbar zu machen und sie langsam abzustreifen. So wird Seite für Seite eine Person sichtbar, die mit dem, was sie uns erzählt, nur bedingt etwas zu tun hat. Dazu passt die äußere Handlung, die immer stärker entgleitet und Anna immer mehr in einen Wahn hineinrutschen lässt, dem sie nicht gewachsen ist.
So schafft es Staubfänger, die Schutzmechanismen des Bewusstseins organisch vorzuführen, ohne jemals etwas zu erklären. Wir begleiten Anna in ihrer Abwärtsspirale, die sich unaufhaltsam weiter dreht und von ihr selbst am Laufen gehalten wird. Was sich hart anhört, ist es ohne Frage auch – aber durch Annas rotzige Art wird es kein tiefschwarzes Porträt, sondern ein Melodrama, das es schafft, die Balance zu halten. Auch literarisch ist dies durch die gelegentlichen Wechsel der Perspektive und Annas vollkommen unzuverlässige Art spannend.
Staubfänger von Lucie Faulerová geht ans Eingemachte, und zwar ohne Samthandschuhe. Der Roman führt knallhart und unerbittlich immer tiefer in das von Trauma und Verdrängung komplett verzerrte Bewusstsein seiner Protagonistin hinein, wobei schwarzer Humor das Kippen verhindert. Ein dringlicher Appell für Selbstfürsorge, die Wichtigkeit von psychischer Gesundheit und das Hinzuziehen therapeutischer Hilfe, bevor es zu spät ist. Und gegen die allgegenwärtige Scham, mit der psychische Probleme nach wie vor belegt sind.
Lucie Faulerová
Staubfänger
Homunculus Verlag
224 Seiten | 22 Euro
Erschienen im September 2021
Ui, das werde ich mir mal auf die Wunschliste setzen!
Auf jeden Fall, gutes Buch!