Wir machen ja meist eher einen Bogen um Genre-Literatur, aber Solaris von Stanisław Lem habe ich mir dann doch mal vorgenommen. Zu Recht ein Klassiker, der auch heute noch glänzen kann.
Das Unbekannte hat die Menschen schon immer fasziniert und ihnen mindestens genauso viel Angst gemacht. Gerade die Science Fiction ist ein Genre, das sich damit in ziemlich unterschiedlichen Formen stetig auseinandersetzt. Einer der absoluten Klassiker der Science Fiction, Solaris von Stanisław Lem, schlägt mit Wucht in diese Kerbe.
Die Geschichte kreist um den Forscher Kelvin, der nach Jahren des Trainings auf den mysteriösen Planeten Solaris fliegt. Der eigentlich lebensfeindliche Planet birgt ein Geheimnis, um das sich in Lems Universum eine ganze Bibliothek von Büchern gebildet hat: die Solariana. Der Forschungszweig beschäftigt sich mit dem rätselhaften Ozean, der den Planeten bedeckt. In immer neuen Ausformungen scheint er ein Eigenleben zu führen, das sich dem menschlichen Verstand jedoch beständig entzieht.
In der Station findet Kelvin zwei Kollegen vor, die bereits seit Jahren dort sind. Sie verhalten sich überaus eigenartig, vollkommen unverständlich für Kelvin. Als nach kurzer Zeit seine verstorbene Frau in seinem Zimmer auftaucht, wird ihm aber klar, dass auf Solaris nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Es entspinnt sich ein Plot, der an den Rand des für die drei Forscher Fassbaren geht.
Niemand war da. Das gleiche vorgewölbte Fenster, nur etwas kleiner, war auf den Ozean gerichtet, der hier – gegen die Sonne – fettig glänzte, so als flösse von den Wellen hinunter gerötetes Öl. Scharlachener Widerschein erfüllte das ganze Zimmer, das einer Schiffkabine ähnlich war.
Solaris ist ein Klassiker der Science Fiction, der den dunklen Kern des Genres in den Mittelpunkt stellt. Die direkte Auseinandersetzung mit einem komplett Anderen, einer den Menschen nicht fassbaren Entität wirft die Protagonisten auf sich selbst und ihre tiefsten Ängste zurück. Diese Qualität des Romans haben auch zwei namhafte Verfilmungen von Andrei Tarkowski und Steven Soderbergh für sich nutzen können. Allerdings können sie die abgründige Tiefe, die der Roman über detaillierte Beschreibungen der Geschichte der Solariana erzeugt, kaum wiedergeben. Die Illustrationen von Anna Stähler unterstützen die Stimmung im Buch sehr schön.
Sprachlich musste ich dann aber doch erstmal reinkommen. Der Genre-Stil ist einfach ziemlich anders, wenn man sonst vor allem Belletristik und populärere Sachbücher liest. Aber nach einigen Seiten (okay, fünfzig Minimum) war ich drin, und es lief so richtig rund mit mir und Solaris. Dass der Roman die Science-Fiction-Klischees wie Weltraumschlachten und äußerst detaillierte Beschreibungen von visionärer Technik und unglaublichen Orten ziemlich komplett auslässt, kommt ihm auch zugute. Er ist damit gut gealtert und immer noch so aktuell wie zu seinem ersten Erscheinen. Die Übersetzung hätte zwar zumindest ein wenig frischen Wind eingehaucht bekommen können, aber das war alles noch im Rahmen.
Ein beeindruckender Roman, der auch all jenen ans Herz gelegt sei, die schon einen der Filme kennen oder auch vor Science Fiction allgemein eher zurückschrecken.
Stanisław Lem
Solaris
Büchergilde Gutenberg
336 Seiten | 28 Euro (Mitgliederpreis)
Erschienen im Oktober 2021
In der Regel gehört Sci-Fi auch nicht unbedingt zu meinem bevorzugtem Genre, aber es gibt immer wieder Ausnahmen, die auch mein Interesse wecken. Nicht zuletzt diese schöne Ausgabe der Büchergilde. Vielleicht wird das mein nächster Quartalskauf. Danke für die Vorstellung! 🙂
Ist echt ne schöne Ausgabe! Die Typographie ist richtig speziell, dachte erst, das könnte man gar nicht lesen, aber dann ging es überraschend gut – also von allen Seiten interessant!
Warum eigentlich „meist eher einen Bogen“? Ich erlebe das öfter von E-Literaturfreunden, aber auch umgekehrt, dass Sci/Fantasy Leserinnen dann sagen „Ich lese nur (noch) Genre XY“.
Damit verliert man nicht nur viel gelungene Literatur aus dem Blick, man sitzt auch einer recht bürgerlichen Spaltung auf, die eigtl erst im Lauf der 19 Jhdts etabliert wurde und heute vor allem als Kategorie zur Beschriftung von Kunst-Waren wirklich festgeklopft ist.
Gerade wenn es um Stil geht verstehe ich es dann wirklich nicht mehr: Lem ist doch sprachlich nun wirklich Fallada oder Baum oder Steinbeck oder sonstigen „realistischen“ Autoren deutlich näher als jene zB Marquez oder Lispector oder Woolf?
Ich würde auch zumindest nochmal in seine Kurzgeschichten bzw. Erzählungen reinschauen, die Lems eigentliche Königsdisziplin sind. Dort muss er sich vor den Meisterinnen und Meistern der „E“-Literatur sicher nicht verstecken. Einige davon gibt es auf Youtube zum Hören.
Ich glaube da geht es mir einfach wie vielen — aus einer einzelnen schlechten Erfahrung wird zu schnell eine komplette Abneigung oder zumindest eine Hemmung, woanders als in den sicheren Gefilden zu lesen. Dazu dann noch die sehr begrenzte Zeit …
Aber klar, Scheuklappen abzuwerfen kann natürlich bereichernd sein. Das war ja jetzt auch mein Ergebnis.
Auch wenn ich beim Stil schon deutliche Unterschiede sehe, was aber auch an der sehr alten Übersetzung liegen könnte.
Aber dann dürfte man ja gar nicht mehr lesen… Ist ja nicht so, dass die „E“ Literatur nicht Totalausfälle am laufenden Band produziert. Spätestens Grassens Hintern (Der Butt) hätte das Ende der Literatur in deutscher Sprache bedeuten müssen.
Es gibt moderne fantastische Literatur & SciFi, die mit Recht ihren Platz unter den 100 Romanen des letzten Jahrhunderts finden könnte (nein, nicht Tolkien und seine Klone), zB diesen hier: https://diekolumnisten.de/2016/01/31/so-geht-fantastik-mit-anspruch/
(In der Serie „Fantastische Reise“ habe ich noch mehrere solcher starken Texte vorgestellt & auch ein paar Trainwrecks).