Idylle oder Albtraum? Die slowenische Autorin Nataša Kramberger stellt in Verfluchte Misteln das Landleben auf die Probe und lässt es mit der Stadt kollidieren – und so gar nicht in einer Idylle münden.
Blick aus unserem Esszimmer auf die Straße: Eine Baustelle, der U-Bahn-Tunnel und die Fahrbahn werden erneuert. Vor unserer Tür seit Neuestem, die Baustelle an sich zieht sich aber schon seit Jahren durch den Kiez. Daneben eine kleine Mall, wir können in den Bioladen und ins Fitness-Studio schauen. Nachts leuchtet noch die Sicherheitsbeleuchtung des Centers durch die Straße, während Möchtegern-Gangster in peinlichen Sportwagen ihre Männlichkeit durch Lärmbelästigung demonstrieren wollen. Wir lieben unsere Wohnung, aber es gibt berechtigte Einwände gegen das Leben in der Stadt.
Wäre es nicht schön, morgens aufzustehen, frische Landluft in den eigenen vier Wänden (gern auch Vierseithof) einzuatmen, während man sich darauf vorbereitet, den Lebensunterhalt mit der Arbeit der eigenen Hände zu verdienen? Auf dem eigenen Land Essen anzubauen, mit dem man sich und andere ernähren kann? Nachmittags mit einer Tasse Kaffee in der Hand über die Ländereien zu schauen und den Pflanzen beim Wachsen zuzusehen? Diese tiefe Wärme zu spüren, einen Unterschied zu machen? Schön.
Ich spüre einen Schmerz zwischen Schulter und Hals, über dem Schulterblatt. An der Stelle, an der der Muskel am Knochen klebt, brennt es, es brennt unheimlich. Er ist gerissen! Ich bleibe stehen, um nach Luft zu schnappen. Am linken Oberschenkel habe ich eine Kruste, eine Narbe, die Ellenbogen sind aufgeschrammt und brennen, die Knöchel sind zerstochen und jucken. Ich kann nicht nachdenken. Ich rolle mich zu einer Schnecke zusammen.
In Verfluchte Misteln möchte die Protagonistin nicht nur die lästigen Baumparasiten verfluchen. Als mittelprächtig erfolgreiche Schriftstellerin lebt die Slowenin eigentlich in Berlin, als sie mehr oder weniger aus einer Laune heraus den Hof ihrer Mutter übernimmt, irgendwo auf dem slowenischen Land. Sie will die Unsicherheiten der Schriftstellerei gegen die Sicherheit körperlicher Arbeit eintauschen, ihr Leben komplett ändern. Vielleicht auch in eine Idylle eintauchen, doch so richtig weiß sie das wohl selbst nicht.
Was sicher ist: Mit der Idylle soll es nichts werden. Auch mit dem Neuanfang will es nicht recht klappen. Rastlos pendelt die Erzählerin zwischen Berlin und Slowenien hin und her, kann sich vom einen Leben nicht trennen und das andere nicht wirklich fassen. Die Landwirtschaft scheint sich ihr zu entziehen, immer wieder misslingen ihre Projekte, um ein Auskommen des Hofs zu sichern. Die Natur stemmt sich scheinbar mit allem gegen sie, was sie aufbieten kann. Sendet Sturm, sintflutartigen Regen, Dürre, Hitze. Und der Staat tut sein Übriges und sendet ihr Formulare. Natur und Bürokratie scheinen sich gegen sie verbündet zu haben. Von den anderen Dorfbewohner*innen und ihrer eigenen Großmutter ganz zu schweigen.
Gleichzeitig wird in Berlin ein kleiner Park abgerissen, um Platz für den Neubau des Suhrkamp Verlagshauses in Mitte zu machen. Das Projekt steht dabei symbolisch für die Gentrifizierung, die Verdrängung alles Prekären in der Stadt, während das Land, das ja eine Zuflucht sein könnte, ihr nur Dornen und Stacheln entgegenstreckt. Die Erzählerin verliert immer mehr den Halt, strauchelt durch die Handlung, bis schlussendlich zumindest Licht am Ende des Tunnels erscheint.
Verfluchte Misteln gibt sich gerade zu Anfang ebenso dornenbewährt wie die beschriebene Natur. Die Ich-Perspektive wechselt wild zwischen Gegenwartshandlung, Erinnerungen und Reflektionen, lässt sich erst mit der Zeit genauer festpinnen, um Halt zu finden. Auch verwirrt das Bild der Erzählerin zu Anfang, da sie sehr mitleidheischend und darin egoistisch daherkommt. Ist der Einstieg aber geschafft und hat sich alles zurechtgeruckelt, zieht der Roman deutlich an.
Etwa ab der Mitte schafft Verfluchte Misteln es, das Spiel mit Stadt und Land, den beständigen Wechsel zwischen den schlimmsten Seiten der jeweiligen Seite immer weiter auf die Spitze zu treiben. Die Bestie der Natur gesellt sich zum Bürokratiemonster, das wiederum von Godzilla-Gentrifizierung und einer ganzen Schar engstirniger Dorfbewohner*innen flankiert wird.
Die Protagonistin wirkt wie hin und her geworfen zwischen den Urgewalten, die sich vor ihr aufbauen, egal in welche Richtung sie sich wendet. Wer nach Verfluchte Misteln noch ungebrochen von einem idyllischen Landleben träumen kann, dem oder der ist wohl nicht mehr zu helfen.
Nataša Kramberger
Verfluchte Misteln
Aus dem Slowenischen von Liza Linde
Verbrecher
272 Seiten | 22 Euro
Erschienen im August 2021
Ich habe diese Lektüre sehr genossen, obgleich sie an vielen Stellen recht ungewöhnlich war und das abrupte Ende mir nicht so gut bekam.
Liebe Grüße 🙂
Ging mir praktisch genauso, aber war echt ein gutes, ungewöhnliches Buch.