Rafael Horzon: Das neue Buch

Nach Das weiße Buch nun Das neue Buch: Wir tauchen wieder ein in die bizarre Welt von Rafael Horzon, der irgendwo zwischen absurder und Popliteratur seine ganz eigene Ecke in der deutschsprachigen Literatur gefunden hat.

Rafael Horzon: Das neue Buch

Es gibt diesen pseudolustigen Ausspruch, der auch mir immer wieder in den Sinn kommt: »Ist das Kunst oder kann das weg?« Was sich über die mittlerweile riesige Kontextabhängigkeit großer Teile der Gegenwartskunst und also ihre Unfähigkeit, sich aus sich selbst heraus zu erklären, lustig macht, gewinnt mit Blick auf die Bücher von Rafael Horzon einen anderen Anstrich. Denn auch wenn er – also seine Hauptfigur Rafael Horzon in Das neue Buch – die Frage zu seinen eigenen Werken gestellt bekäme, würde er vermutlich eher zum Wegwerfen tendieren, als sie »Kunst« zu nennen.

Das neue Buch von Rafael Horzon ist getragen vom Kampf des gleichnamigen Protagonisten, sein Schaffen als »Kunst« bezeichnen zu lassen. Täglich ändert er seine Berufsbezeichnung auf Wikipedia von »Schriftsteller« zu »Sachbuchautor«, verkauft er keine Kunst, sondern Wanddekoration und dokumentarische Fotografien in seinen Läden und stellt diese natürlich nicht in Galerien aus, sondern ausschließlich in dokumentarischen Museen oder Schauen. Wieso ist das so, was macht die Kunst für den Protagonisten zu einem so unerträglichen Makel für sein eigenes Schaffen?

Aus dem Buch heraus ist es die komplette Phantasielosigkeit der Hauptfigur, die jede Kunst, jede Fiktion und jedes Schaffen aus einem wie auch immer gearteten Nichts heraus als für sich unmöglich betrachtet. Das passt zu seinem sonstigen Verhalten. Er ist über die Maßen naiv, weltfremd und eogistisch – bis hin zur kompletten Karikatur. Und an diesem Punkt muss man dann doch über die Grenzen des neuen Buchs hinausschauen, um mehr zu sehen.

Denn was der Autor Horzon hier zelebriert, ist ein Reigen absurder Popliteratur, die in seiner Dreistigkeit seinesgleichen sucht. Denn genauso stark, wie die Figur Horzon jede Fiktion ablehnt und doch alles Gesehene komplett zum eigenen Vorteil auslegt und in seiner Erinnerung umdeutet, so sehr dreht der Autor Horzon die Realität durch den Fleischwolf, indem er wirklich alles, was in Das neue Buch vorkommt, in der direkt greifbaren Realität verankert. Gerade wer in Berlin lebt und sich öfter mal in Mitte rund um den Verlagssitz von Suhrkamp bewegt, trifft unzählige Orte und vermutlich auch Personen aus dem Buch. Dass diese dann aber wiederum komplett fiktionalisiert sind, entwickelt sich mit der Zeit immer mehr zu einem irren Trip – wie das schillernde Cover es auch zeigt.

»Ich weiss doch, was ich gesehen habe und was nicht!«, rief Horzon gekränkt. »Dann glaubt mir halt nicht. Das war ja schon mein Weissen Buch so, dass alles nur für Fiktion gehalten wurde. Dabei ist alles wahr. Es gibt ja sogar immer noch Leute, die Moebel Horzon für eine Fiktion halten. Und den Laden für eine Wirklichkeits-Simulation. Warum gehen die nicht einfach in meine Fabrikhallen in der Prinzenallee und schauen sich an, wie dort Tag und Nacht Regale und Schränke produziert werden?«

Hatte ich erwähnt, dass das Buch in Schweizer Rechtschreibung ist? Und der Protagonist Horzon hier gerade Daniel Kehlmann sein Leid klagt? Genau das ist das Wesen von Das neue Buch, so wie es schon Das weisse Buch zuvor gemacht hat: Alles immer weiter über die Grenzen treiben, das Spiel mit Realität und Fiktion so weit treiben, bis eine*r weint.

Für mich gab es trotz fulminantem Kampf der Meta-Ebenen und den darin enthaltenen schönen Spitzen gegen die Mitte-Gesellschaft Berlins und auch den Literaturbetrieb in Das neue Buch doch auch einige Schwachpunkte. Denn spätestens nach zwei Dritteln des Buchs ist das Spiel soweit klar, sind die Kämpfe gekämpft und führen nur noch weiter in die Fleischwolf-Spirale. Das ist auf Dauer leider etwas ermüdend, auch da Das neue Buch eher schwach beginnt und sich erst relativ spät steigert. Da hätte ich mir etwas mehr Zug gewünscht. Allerdings ist natürlich klar, dass sich gegen Anti-Literatur im besten Sinne kaum mit literaturkritischen Mitteln angehen lässt bzw. diese irgendwo im Meta-Nichts verpuffen.

Das neue Buch von Rafael Horzon ist ein schillerndes Spiel zwischen Fiktion und Realität, das zum Glück nicht bei der nun langsam wirklich zur Genüge vorhandenen Autofiktion stehen bleibt, sondern gleich ein ganzes Milieu in den Strudel mitreißt und wirklich vor nichts und niemandem Halt macht. Das ist bisweilen toll, bisweilen aber in seiner Länge auch etwas ermüdend. Originell bleibt es in seiner Schamlosigkeit aber auf jeden Fall.

Rafael Horzon

Das neue Buch

Suhrkamp

303 Seiten | 20 Euro

Erschienen im Oktober 2021

Filed under Blog, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

Kommentar verfassen