Während es medial um die Klimagerechtigkeitsbewegung ruhiger wird, erscheint mit Glitzer im Kohlestaub. Vom Kampf um Klimagerechtigkeit und Autonomie ein fulminanter Sammelband mit Texten aus der Bewegung, einer Oral History, die über die reine Bestandsaufnahme weit hinausgeht.
Wer wie ich aus dem rheinischen Braunkohlerevier kommt, hat die Effekte jarhhundertelangen Raubbaus an der Natur nicht nur sprichwörtlich mit der Muttermilch aufgesogen. Ich bin in einem Ort aufgewachsen, der Ende der 1970er Jahre komplett neu gebaut wurde. Der Ursprungsort, aus dem die meisten Menschen stammen, fiel dem Tagebau Garzweiler II zum Opfer. Die Menschen wurden »umgesiedelt«, entschädigt für die erzwungene Hergabe ihrer Häuser, ihrer Grundstücke, ihrer Herkunft. Nicht nur für meine Großeltern ein traumatisches Erlebnis.
Auch die gesamte Natur rund um das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, ist bis heute kaum älter als 50 Jahre. Zum einen wird das Gebiet sehr intensiv landwirtschaftlich genutzt, zum anderen wurde der Abraum der es umgebenden Tagebauten Garzweiler II und Hambach dort abgeladen, sodass etwa der höchste »Berg« der Umgebung entstand: die Sophienhöhe. Ich will jetzt hier keinen Natur/Kultur-Diskurs aufmachen, das würde zu weit führen. Der Punkt ist, dass ich in einer Landschaft aufgewachsen bin, die komplett künstlich ist und gewissermaßen geschichtslos. Das Produkt einer Energiepolitik, die viel zu lange komplett auf fossile Stoffe setzte – bei mir eben die Kohle.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass das alles auch viele Vorteile für die Menschen dort hatte. Es ist eine wohlhabende Gegend, keine Frage. Tagebauten und Kraftwerke plus Zulieferer und Industrie haben viel Zugkraft, viel Geld in die Gegend gespült. Umso schwerer hat es dort die Klimabewegung – oder besser, die Klimagerechtigkeitsbewegung, die im Band Glitzer im Kohlestaub vom Kollektiv Zucker im Tank beschrieben wird.
Bei Glitzer im Kohlestaub handelt es sich zu größten Teilen um eine Art Oral History, die zahlreiche Selbstbeschreibungen, Erfahrungsberichte und andere Schilderungen von verschiedenen Gruppen aus der Bewegung sammelt. Sie ist bewusst auf Deutschland beschränkt, wobei aber nicht ausschließlich Widerstand gegen Kohlekraftwerke im Mittelpunkt steht, dieser jedoch den Großteil einnimmt. Ein Panoptikon, das die vielen Facetten einer vielfältigen Bewegung zeigt.
Viel interessanter als diese Beschreibungen waren für mich aber die vielen Exkurse, die den Band durchziehen. Sie werfen Licht auf selten thematisierte Seiten im Inneren der Bewegung, üben Selbstkritik oder reflektieren umstrittene Begriffe und Themen. Mit diesen Texten leistet der Band Pionierarbeit, die unglaublich interessant zu lesen ist und die Bewegung noch weiter stärken wird – gerade jetzt, wo die mediale Aufmerksamkeit und auch der politische Wille zum entschiedenen Handeln durch Pandemie und Krieg stark eingeschränkt ist. Dass die Beiträge in der sprachlichen Qualität dabei deutlich schwanken, liegt in der Natur der Sache und viel für mich nicht weiter ins Gewicht, gibt der Lektüre eher noch ein Plus an Direktheit.
Vor allem ein Text über Klassismus in der Bewegung hat mich sehr berührt. Er schildert sehr plastisch, dass das bunte Miteinander in Aktionscamps nicht immer harmonisch verläuft, ja sich die gesamtgesellschaftlichen Gräben trotz aller diskursiver Ansätze auch hier fortsetzen. Oder ein anderer, der von den Erfahrungen einer trans Aktivist*in berichtet. Zusammengenommen reflektieren die Exkurse vorbildlich die blinden Flecken einer antihierarchisch strukturierten Protestbewegung, in der die Triade aus Race, Class und Gender genauso eine Rolle spielt wie in weniger reflektierten oder sicheren Umgebungen. Der Band selbst nimmt dies sehr schön mit Content Notes auf, die bei jedem Beitrag über explizite Inhalte aufklären.
Glitzer im Kohlestaub kann inhaltlich wie konzeptionell auf ganzer Linie überzeugen. Das Buch zeigt eine lebendige Bewegung, die in einem übergroß erscheinenden Kampf Stellung bewahrt und dabei nicht vor Selbstkritik zurückschreckt. Eine ebenso aufwühlende wie beruhigende Lektüre – denn wer ein so riesiges Unterfangen wie diesen Band stemmen kann, wird auch weiter erfolgreiche Aktionen durchführen können. Da bin ich mir sicher.
Zucker im Tank (Hg.): Glitzer im Kohlestaub | Assoziation A | 416 Seiten | 19,80 Euro | erschienen im Juni 2022
Es heißt nicht „Tagebauten“ sondern Tagebaue!
Ah, danke!