Kurz angerissen, diesmal mit Heimat. Eine Gebrauchsanweisung von Oxana Timofeeva, Poolparty von Philipp Winkler und Pjönjang von Guy Delisle.
Oxana Timofeeva: Heimat. Eine Gebrauchsanweisung
Große geopolitische Verschiebungen führen dazu, dass man alte Fragen neu stellen muss. Wie der russische Krieg gegen die Ukraine eine »Zeitenwende« für Deutschland und Europa darstellt, so hat die imperialistische Politik der russischen Föderation Angehörige von ethnischen Minderheiten innerhalb Russlands spätestens seit dem Ende der Sowjetunion verfolgt. Gerade für diese Menschen stellt sich die Frage, was Heimat für sie bedeutet und wie sie sich dem Thema nähern können.
Heimat. Eine Gebrauchsanweisung von Oxana Timofeeva ist sowohl persönliche Annäherung an die eigene Heimat als auch Annäherung an das Konstrukt Heimat an sich. Die Stationen ihrer Jugend liegen verteilt über Russland. Geboren in Sibirien, aufgewachsen in Kasachstan, dann wieder in einer Ölstadt nahe dem Polarkreis, wieder Sibirien also. Die schönen Schilderungen von Erinnerung und Wiederentdeckung dieser lange von der Autorin verlassenen Orte werden dann abgelöst durch einen Essay über das Wesen der Heimat. Hier bezieht sie klar Stellung gegen die politische Vereinnahmung der Herkunft durch rechte Parteien oder Regime, die sie zum Grund eines kämpferischen Patriotismus pervertieren.
Am meisten gefallen an dem Band hat mir allerdings das Interview am Ende, das nach dem Essay und auch nach dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine entstand. Hier fallen alle rhetorischen und philosophischen Winkelzüge des essayistischen Teils weg und münden in ein klares Statement gegen den Autoritarismus Russlands unter Putin und für eine Welt, in der Heimat ein wo und wie auch immer gearteter Ort sein kann, den jeder Mensch für sich entdecken kann, ohne ihn einem Regime zu unterstellen. Ein Ort der ganz persönlichen Freiheit fernab jeglicher Geopolitik – und damit doch auch ein politischer. [s]
Oxana Timofeeva: Heimat. Eine Gebrauchsanweisung | Matthes & Seitz Berlin | 123 Seiten | 16 Euro | erschienen im Juli 2022
Philipp Winkler: Poolparty
Partytime. Die Geschichte von Philipp Winkler zeigt mal wieder perfekt, wofür der Autor mittlerweile berühmt ist. Sie stürzt sich ohne irgendwelche Umschweife in eine Subkultur, oder nennen wir es Szene hinein, adaptiert ihre Sprache, ihre Gesten, ihren Habitus, und erzählt ganz tief aus dem Inneren. Bisher legte Winkler dabei immer Wert darauf, in seinen Geschichten größtmögliche Empathie für seine Figuren zu entwickeln und sie aus den Verstörungen tief in ihnen als ganze Menschen zu zeigen.
Poolparty ist da von anderem Kaliber, wohl vor allem, da es hier um eine Szene geht, die keines Schutzes, keiner großartigen Erklärung bedarf. Die Erzählung spielt im neureichen L.A., in der Villa irgendeiner beliebigen Pornoproduktion. Alles riecht hier nach Geld, nichts nach Geschmack. Alles ist custom, alles exklusiv, alles streng nach vollkommen übertriebenem Preis gekauft. Entsprechend leer sind die Menschen auf der Party, als bloße Hülle wackeln sie durch das Bild. Dieses wiederum folgt dem namenlosen Erzähler, der immer wieder bewusstlos wird, weil er komplett zugedröhnt ist, sich aber trotzdem noch gut für besser als alle anderen auf der Party halten kann. Eine verballerte Sneak Peak in eine Welt, die nur Oberflächen kennt. Eine Welt, die Winkler in ihrer abgehackten Sprache und existenziellen Leere perfekt einfängt. [s]
Philipp Winkler: Poolparty | Das Gramm | 13 Seiten | im Abo | erschienen im September 2022
Guy Delisle: Pjöngjang
Nordkorea – kein Land der Erde schirmt sich derart effektiv von der Außenwelt ab wie das winzige Land zwischen Südkorea und China. Die Menschen leben in einem von Propaganda lückenlos beherrschten Polizeistaat, der keinerlei persönliche Entfaltung außerhalb von Volk und Vaterland vorsieht und damit auch nach innen hermetisch abgeriegelt ist.
Gerade hierhin verschlägt es den Animationsproduzenten Guy Delisle. In seinem 2007er Comic Pjöngjang verarbeitet er die Erlebnisse in der Sonderwirtschaftszone Nordkoreas. In bedrückend düsteren Zeichnungen schildert er seinen Alltag in den drei Monaten seiner Entsendung. Porträtiert seinen Führer und Dolmetscher, seine Arbeitskolleg*innen und andere Expats in der Zone. Alle Fremden aus dem Westen leben wie in einer Raumstation, komplett abgekoppelt vom eigentlichen Leben der Menschen, und zutiefst beeindruckt über die lückenlose Indoktrinierung der Nordkoreaner*innen, mit denen sie in Kontakt kommen.
Damit schafft Pjöngjang einen schönen Kontrast von Expats, die sich über das winzige Angebot in Restaurants, schlechtes Essen und niedrige Standards beschweren, zu einer komplett verarmten Bevölkerung, von der sie allerdings auch kaum etwas mitbekommen können. Außerdem erzählt der Comic von der absurden Situation, dass gerade in diesem Schurkenstaat immer mehr Outsourcing für westliche Staatssender stattfindet, da die Animateur*innen für einen Hungerlohn arbeiten.
Das ist auf einer guten Linie zwischen Humor und Groteske erzählt. Für mich war jedoch zu viel Pädagogik mit eingebunden, die immer wieder etwas plump eingestreut wird. Das hätte durchaus etwas organischer sein können. Insgesamt aber eine Runde Sache für einen entspannten Nachmittag. [s]
Guy Delisle: Pjöngjang | Aus dem Französischen von Jochen Schmidt | Handlettering von Dirk Rehm | Reprodukt | 184 Seiten | 20 Euro | erschienen 2007