Caroline Schmitt: Liebewesen

Love me tender, love me sweet … oder gib mir einfach die ungeschönte Wahrheit einer Liebesbeziehung zwischen zwei versehrten Individuen, so wie es Caroline Schmitt in ihrem genialen Debütroman Liebewesen tut.

Caroline Schmitt: Liebewesen

Es gibt diese Romane, die finde ich allein schon wegen des Covers super, und dann gibt es solche, deren Seiten mir regelrecht durch die Finger gleiten, so genannte Pageturner. Caroline Schmitts Debütroman Liebewesen fällt in beide dieser Kategorien und hat mich einfach umgehauen.

Liebewesen beginnt schön heutig mit einem Tindermatch zwischen Lio, Biologin, und Max, Radiomoderator. Lios beste Freundin und Mitbewohnerin verschafft ihr dieses Tinderdate, denn Lio selbst wäre viel zu zurückhaltend, um es so weit kommen zu lassen. Aber sie lässt sich auf das Experiment ein, lernt Max kennen, steigt mit ihm trotz aller Schwierigkeiten mit dem eigenen Körper in die Badewanne und verliebt sich schließlich in ihn. Die beiden werden ein Paar und ziehen zusammen. Vor allem für Lio ein großer Schritt. Sie lernt Max’ hippieske Mutter kennen und versteht sich beinahe besser mit ihr als mit ihm. Klingt doch eigentlich nach einer perfekten Liebesgeschichte, oder? Happy End, fertig, aus.

Doch das wäre zu einfach, denn wir bewegen uns hier nicht in einem Kitschroman, sondern begegnen einer Liebesgeschichte, die sich verdammt echt anfühlt. Denn Lio und Max sind nicht nur zwei Personen, die eine Beziehung eingehen, sondern die auch jeweils ihre Päckchen mitbringen. Und diese Päckchen entblättern sich nach der rosaroten Anfangsphase der Beziehung zunehmend. Da aus Lios Perspektive erzählt wird, erfahren wir vor allem von ihren Struggles, ihrem schwierigen Verhältnis zu ihrem Körper, das aus Geschehnissen in der Vergangenheit herrührt, ihrem Aufwachsen in einer Familie, in der die Mutter sehr dominant, kalt und verletzend agierte, während Lios Vater versuchte, ein Gegengewicht zu sein, es aber nur bedingt schaffte, weil er die meiste Zeit arbeitete, und zu Hause der Alkohol sein stetiger Begleiter war.

Max dagegen scheint eine Bilderbuchkindheit und -jugend gehabt zu haben – erster Joint mit der Mutter, freigeistige Erziehung, alle Möglichkeiten. Und trotzdem wird er immer wieder von Depressionen geplagt. Zu allem Überfluss wird Lio zu Beginn der zweiten Hälfte des Buches auch noch schwanger, ungewollt. Max erzählt sie davon nichts, denn sie will das Kind eigentlich nicht haben, und doch vergeht Woche um Woche, ohne dass Lio eine Entscheidung trifft.

Vor drei Monaten war ich sicher, dass ich nicht schwanger werden konnte. Dann war ich sicher, dass der Abbruch erfolgreich gewesen und ich in meinem Körper wieder allein war. Ich lag in beiden Fällen daneben.

Puh, kurz durchatmen, denn das ist alles keine leichte Kost. Dennoch schafft es Caroline Schmitt durch ihre erfrischend sarkastische Art des Erzählens, den Lesenden auch immer mal ein Schmunzeln zu entlocken. Das hält gewiss nicht lange an, denn der nächste bittersüße Beigeschmack wartet schon auf der nächsten Seite. Gerade deshalb hat mich Liebewesen so in seinen Bann gezogen – ich mochte die Sprache, sie passt perfekt zu der im Roman dargestellten Generation (zu der ich mich im übrigen auch zähle) und den Figuren im Besonderen.

Kleiner Wermutstropfen: Ich persönlich finde, dass dieses Buch mindestens eine Triggerwarnung für die doch sehr detaillierte Vergewaltigungsszene benötigt hätte. Vielleicht ja eine Idee für die Nachauflage.

Liebewesen ist so kontrastreich wie das kleine Mädchen im rosa Kleid mit Knarre am Anschlag auf dem Cover. Die Unschuld einer jungen Liebe trifft hier auf den Schmerz der Vergangenheit, und das ist so lebensnah und gut geschrieben, dass ich Caroline Schmitt dankbar bin für diesen intensiven Debütroman. Hinfort mit euch, ihr Liebesgeschichtenklischees und Platz gemacht für Liebewesen!

Caroline Schmitt: Liebewesen | Eichborn | 221 Seiten | 20 Euro | Erschienen im Januar 2023

Kategorie Blog, Rezensionen
Autor

Aufgewachsen im schönen Brandenburg lernte ich schon früh die ländliche Einöde lieben und verteufeln zugleich. Heute kehre ich immer wieder gern heim, wohne allerdings lieber in urbanen Räumen. Lesen geht ja zum Glück überall und bietet Ausflüge in diverse Welten. Hier schreibe ich über meine Lektüren.

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