Ein verschwundenes Kind, ein Pädophiler: Wie ähnlich ist uns der Zackenbarsch, dieses äußerst hässliche Tier von Anita Augustin taucht tief ein in eine Welt, die man eigentlich gern ausblendet.
Ein Kind verschwindet. Spurlos. Ein Alptraum, der der alleinerziehenden Mutter Cornelia eines Tages widerfährt. Die Polizei macht es auch nicht besser, ganz im Gegenteil, überhäuft sie mit Vorwürfen, die Tochter alleingelassen zu haben. Aber wo soll das Geld auch sonst herkommen, wenn nicht aus Vollzeitarbeit?
So macht sich Cornelia selbst auf die Suche, fängt an herumzufragen bei den Freund*innen ihrer Tochter. Und tatsächlich, sie findet eine Spur, jedoch eine, die sie lieber nicht gefunden hätte. Alles deutet auf einen Pädophilen hin, mit dem sich Elli getroffen hat. Was bis dahin ein Alptraum war, steigt exponentiell ins Unerträgliche.
Wie ähnlich ist uns der Zackenbarsch, dieses äußerst hässliche Tier von Anita Augustin erzählt die Geschichte Cornelias, wie sie versucht, ihre Tochter Elli wiederzufinden. Doch der Roman ist kein Krimi, kein Thriller mit dunklem Thema, sondern eher ein Gesellschaftsroman, der alle Protagonist*innen der Geschichte in den Fokus nimmt und damit ein Bild entwirft, das von Abgründen und Tabus nur so wimmelt. Und von einer Frau orchestriert wird, die für ihre Tochter einfach alles tun würde.
Pikant ist der Roman dadurch, dass er ein Dreieck darstellt, das man so vermutlich noch nie in der Literatur gelesen hat. Denn im Zackenbarsch wechselt der Fokus immer wieder zwischen Cornelia, dem Pädophilen und mutmaßlichen Entführer von Elli, Viktor, sowie dessen Therapeut Frank, mit dem Cornelia wiederum eine Affäre angefangen hat, um an Viktor heranzukommen.
Dazu ändert sich immer wieder die Perspektive. Cornelia spricht aus der ersten und zweiten Person, Viktor ebenfalls aus der ersten, sein Therapeut und Cornelias Affäre Frank wird wiederum aus der dritten erzählt, dazu kommen hier und da noch Nebenfiguren, die auch mal ein eigenes kleines Kapitel bekommen.
Damit schafft es der Zackenbarsch durchaus, hinter das Tabu des Pädophilen als bloßem Monster zu kommen und das Thema differenziert als Krankheit bzw. Präferenzstörung zu behandeln, die nicht zwingend nur durch Wegsperren gesellschaftlich gelöst werden kann. Dadurch, dass Viktor selbst spricht, offenbart er ein ziemlich verstörtes Selbst zwischen diversen Traumata und Störungen, das menschlich ist, ohne den möglichen Missbrauch zu relativieren.
Als Roman konnte mich der Zackenbarsch aber nicht überzeugen. Es wirkt, als hätte die gleichzeitig sensible wie provokante Behandlung des Pädophilenthemas alles andere unter sich begraben. So ist die Dramaturgie ziemlich unbalanciert, die Kapitel werden zum Ende hin immer länger und bringen die Handlung immer weniger vorwärts. Der Stil ist bei den Personen zwar unterschiedlich, gerade Viktor hat einen sehr eigenen bekommen, aber insgesamt wirkt auch dies eher fahrig. Am Ende hätten es vermutlich etwas weniger Provokation und dafür etwas mehr Feintuning getan.
Wie ähnlich ist uns der Zackenbarsch, dieses äußerst hässliche Tier von Anita Augustin geht mit Wucht ins Tabuthema Pädophilie, vergisst für mein Empfinden über der Provokation aber zu sehr die Leser*innen, die in der sich zerfransenden Dramaturgie verloren gehen.
Anita Augustin: Wie ähnlich ist uns der Zackenbarsch, dieses äußerst hässliche Tier | Leykam | 320 Seiten | 24 Euro | Erschienen im März 2023