Im dritten und letzten Beitrag zur Shortlist des WORTMELDUNGEN Ulrike Crespo Förderpreises für kritische Kurztexte 2023 stellen wir euch die letzten vier Nominierten und ihre Texte vor: Simone Saftig, Stav Yehiel Szir, Anile Tmava und Theresia Töglhofer.
Beim WORTMELDUNGEN Förderpreis werden wieder neue Stimmen zu relevanten gesellschaftlichen Themen gesucht. Zehn Autor*innen sind mit ihren Texten über die Möglichkeit, den Klimawandel literarisch zu vermitteln, für die Shortlist nominiert. In drei Beiträgen stellen wir sie euch vor, bevor im November dann die drei Preisträger*innen gekürt werden. Wie immer könnt ihr alle Texte auf der WORTMELDUNGEN-Homepage nachlesen – wir verlinken sie aber auch im Folgenden nochmal.
Simone Saftig: EVOLUTION EXECUTION
»Anpassung« ist beim Sprechen über die Klimakatastrophe ein beliebter Begriff geworden. In EVOLUTION EXECUTION von Simone Saftig begegnen wir eigenartigen Kreaturen, die in den Meeren, im Himmel und auf den Straßen der Erde plötzlich immer wieder gesichtet werden. Sie wirken wie von einem anderen Planeten, Hybride aus Natur und Technik. Unser Blick in eine unbekannte Zukunft erhält mit diesen Kreaturen ein Aussehen. Doch was wir da vor uns haben, ist alles andere als klar. Ein Text, der die Urängste vor dem Anderen artikuliert und in Zusammenhang mit der größten Veränderung seit Ewigkeiten setzt.
Wir haben Simone Saftig ein paar Fragen zum Text gestellt:
Warum hat dich das von Judith Schalansky ausgerufene Thema zum Wortmeldungen Förderpreis 2023 animiert, einen eigenen Text zu schreiben?
Die für mich spannenden Keywords in dem Aufruf waren »Fantasie« und »Bilder«. Ich habe mich gefragt, wie man ein reales Thema mit fantastischen Bildern verknüpfen und dadurch ganz explizite Vorstellungen von Nichtexistentem kreieren kann. Sind Traumwelten nur zum Träumen da oder können sie uns auch Impulse für die reale Welt und ihre Krisen liefern? Und wie wird – bzw. wer macht – aus der Utopie eine Dystopie?
Schick uns ein Foto/gemaltes Bild/Meme/YouTube-Video, das für deinen Text stehen könnte oder dich dazu inspiriert hat und schreib ein paar Sätze dazu.
Ocell…Peix (Bird…Fish) von Salvador Dalí: Auf dem Bild erkennt man Wasser, Luft und Erde; es vereint Tierisches und Menschliches und sieht auf den ersten Blick fast aus wie ein Objekt unter dem Mikroskop. Das Gleichgewicht zwischen den einzelnen Elementen wirkt fragil und die Tiere dem Tod geweiht – durch menschliche Hand natürlich (Korbinian, bist du’s?!).
Wenn es nach dir ginge: Was sollten die Lesenden aus deinem Text mitnehmen?
Eigentlich finde ich es ja am schönsten, wenn die Leser*innen meiner Texte etwas darin finden, was ich nicht absichtlich hineingelegt habe. Aber das ist keine Antwort auf die Frage, also bei EVOLUTION EXECUTION vielleicht: Fantasie und Abscheu? Oder halt etwas ganz anderes … man merkt, ich finde keine richtige Metasprache für den Text. Wahrscheinlich muss er jetzt einfach sein eigenes Ding machen und meine Intentionen gekonnt ignorieren.
Vielen Dank für deine Antworten.
Simone Saftig (*1993) studierte Germanistik und Medienwissenschaften in Düsseldorf und promoviert aktuell über monologische Theatertexte der Gegenwart. Sie arbeitet als Literaturwissenschaftlerin, Kulturjournalistin und freie Autorin.
Stav Yehiel Szir: Kawana
Kawana, der Titel von Stav Yehiel Szirs Text, bezeichnet das freie Herzensgebet im jüdischen Glauben. Angesichts sich beständig vermehrender Bedrohungslagen für menschliches, noch mehr aber für jüdisches Leben auf der Erde im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen findet der Text nur noch dort, im Gebet, eine Möglichkeit des Sprechens. Er spricht von Verzweiflung und Angst, seine Suchbewegung bietet jedoch gleichzeitig den Grund für Stärke und Resilienz, um der Hoffnungslosigkeit zu entgehen.
Wir haben Stav Yehiel Szir ein paar Fragen zum Text gestellt:
Warum hat dich das von Judith Schalansky ausgerufene Thema zum Wortmeldungen Förderpreis 2023 animiert, einen eigenen Text zu schreiben?
Die Krise ist der größte Mythos der Gegenwart. Klima, Krieg, Wirtschaft und Psyche: Wo wir auch hinschauen, sehen wir die Katastrophe, zu Recht. Die Krise ist der Mythos der Gegenwart, so wie es früher die Religion, später z.B. die Psychologie in der Kunst war. Die Sprache der Krise ist die Sprache der Politik und des Spektakels. Eine Sprache, die Kapital schlagen will. Wie klingt die Krise der Sprache? Dieser Frage wollte ich nachgehen. Wie schreiben, wie sprechen, wie denken wir Krisen, ohne um des Schreis willen aufzuschreien. Mit Worten, durch die wir berührt werden und mit der Zukunft in Berührung kommen. Welche Worte bleiben uns?
Schick uns ein Foto/gemaltes Bild/Meme/YouTube-Video, das für deinen Text stehen könnte oder dich dazu inspiriert hat und schreib ein paar Sätze dazu.
Wenn es nach dir ginge: Was sollten die Lesenden aus deinem Text mitnehmen?
Nichts. Wir werden schon von Kindheit an darauf trainiert, Wissen und Skills aus Texten »mitzunehmen«. Texte sollen was zu sagen haben und eine Leserschaft »abholen«. Mit Worten, die wir mitnehmen, verkleiden wir uns als belesene Menschen. Texte, die uns wirklich berühren, nehmen uns etwas weg. Eine falsche Sicherheit, einen falschen Stolz, den geübten Blick im Spiegel. Sie erschüttern und entkleiden uns. Vor Texten, die uns wirklich berühren, empfinden wir Demut. Wenn es nach mir ginge, würde der Text, wenn auch nur bei einem einzigen Wort, unmerklich die Knie beugen.
Vielen Dank für deine Antworten.
Stav Yehiel Szir (*1996) studiert Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Philosophie und Judaistik in Berlin. Vorherige Studien beinhalten u.a. Musik in Hamburg und Literarisches Schreiben in Hildesheim. Seine Texte erschienen z.B. bei Jenny, Zwischentext oder viral.
Anile Tmava: Sollbruch & Krise: Über die Unmöglichkeit des Paradieses
Im Begriff des »Paradieses« kreuzen sich verschiedenste Disziplinen, für die es jedoch praktisch immer ein Ort der Hoffnung ist. Anile Tmava lässt in ihrem Text Sollbruch & Krise Diskurse zusammenlaufen. So treffen sich Theologie, Ökonomie, Philologie und Psychologie, um in einer mehrdimensionalen Analyse in die Tiefe der derzeitigen Krisensituation vorzudringen. Die unterschiedlichen Perspektiven verschränken sich zu einem Tableau der Krise, das in den Zwischenräumen fühlbar macht, wie schwer es ist, in diesen zu leben, geschweige denn groß zu werden.
Wir haben Anile Tmava ein paar Fragen zum Text gestellt:
Warum hat dich das von Judith Schalansky ausgerufene Thema zum Wortmeldungen Förderpreis 2023 animiert, einen eigenen Text zu schreiben?
Ich wollte die individualisierte Erfahrung von Überforderung durch das Krisen-Ausgesetztsein mit der das Individuum und seine Verständnisfähigkeit übersteigenden Natur dieser Krisen verschränken.
Schick uns ein Foto/gemaltes Bild/Meme/YouTube-Video, das für deinen Text stehen könnte oder dich dazu inspiriert hat und schreib ein paar Sätze dazu.
this is the new future. accelerator of human progress. a revolution in civilization.
Wenn es nach dir ginge: Was sollten die Lesenden aus deinem Text mitnehmen?
Das vorahnende Wanken einer Luxusyacht.
Vielen Dank für deine Antworten.
Anile Tmava (*1999) studiert Medizinanthropologie und gibt im Rahmen des wortbau e.V. Schreibworkshops für Kinder und Jugendliche. Sie war Teilnehmerin des Treffen junger Autor*innen 2013 und 2018 und würde gerne ein Opernlibretto über das menschliche Nervensystem schreiben.
Theresia Töglhofer: Unendliche Angst
Zeitgeschichte und persönliches Erleben fließen in Theresia Töglhofers Text Unendliche Angst ineinander. Die Erinnerung an den verstorbenen Vater und die österreichische Nachrichtensendung Zeit im Bild werden zu Konstanten einer Welt, in der nichts mehr feststeht, nichts mehr gewiss ist. Die Angst droht zu übernehmen. Der Text entwirft ein höchst anschlussfähiges, emotionales Zeitbild, das die Enge des Einzelnen in der sich krisenhaft zusammenziehenden Welt in den Fokus nimmt und fühlbar macht.
Wir haben Theresia Töglhofer ein paar Fragen zum Text gestellt:
Warum hat dich das von Judith Schalansky ausgerufene Thema zum Wortmeldungen Förderpreis 2023 animiert, einen eigenen Text zu schreiben?
Die Frage hat mich nicht losgelassen. Sie ist wohl auf eine innere Unruhe getroffen, auf das Bedürfnis, etwas, was mich in letzter Zeit sehr beschäftigt hat, zu thematisieren, ohne zu wissen, wie. Der Text, der dabei entstanden ist, ist für mich kein Ordnungsversuch, kein Versuch der Selbstbeschwichtigung oder des »In-Worte-Fassens«. Vielmehr fühlt es sich wie ein Aufbruch an.
Schick uns ein Foto/gemaltes Bild/Meme/YouTube-Video, das für deinen Text stehen könnte oder dich dazu inspiriert hat und schreib ein paar Sätze dazu.
Bildbeschreibung: Die Signation der Zeit im Bild, der Nachrichtensendung des Österreichischen Rundfunks, von 1993 bis 2002 (Quelle: YouTube/Klaus Schreiner, Video: https://www.youtube.com/watch?v=pfjfiET3z_Y)
»Jeden Abend kurz vor halb acht schaltet Papa den Fernseher ein. Meine Brüder und ich spielen Werbung raten. Wer am schnellsten herausruft, um welche Marke es sich handelt, gewinnt. Dann erhebt sich unter den ersten Takten des Donauwalzers die gleißende Weltkugel der Zeit im Bild. Papa, die Füße auf dem Couchtisch, kommentiert kopfschüttelnd das Weltgeschehen.« (Zitat aus Unendliche Angst)
Wenn es nach dir ginge: Was sollten die Lesenden aus deinem Text mitnehmen?
Das steht ihnen natürlich frei. Was ich für mich mitnehmen möchte, ist, genau hinzuschauen. Gedanken und Zusammenhängen nachzugehen, die auf den ersten Blick womöglich lächerlich oder absurd erscheinen, und auch für Schmerz und Abwesenheit eine Sprache zu finden (ohne den Anspruch, dass irgendetwas dadurch gut werden muss).
Vielen Dank für deine Antworten.
Theresia Töglhofer (*1985) studierte Geschichte und Internationale Beziehungen in Graz und Paris. Es folgten weitere berufliche Stationen in Belgrad, Brüssel, Wien, Osijek und Berlin. Zurzeit arbeitet sie an ihrem Romanprojekt Tatendrang, für das sie u.a. das Berliner Senatsstipendium erhielt.
WORTMELDUNGEN – Der Literaturpreis für kritische Kurztexte wird jährlich von der Crespo Foundation ausgelobt. Er ist mit 35.000 Euro dotiert und wird für herausragende literarische Kurztexte verliehen, die sich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen. Der mit 15.000 Euro dotierte gleichnamige Förderpreis schließt an den Literaturpreis an und soll junge Autor*innen motivieren, in Auseinandersetzung mit dem Thema des Gewinner*innentextes eine eigene literarische Position zu formulieren.
Disclaimer: Dieser Blogbeitrag ist Teil einer bezahlten Kooperation mit der Crespo Foundation.