Und sonst so? [Monatsrückblick September 2023]

Der September beginnt ganz normal für uns, um dann nicht ganz unvorhergesehen alles auf den Kopf zu stellen. Ein Monat, den wir nicht vergessen werden. Was sonst noch so los war, lest ihr hier.


Manche Erlebnisse lassen sich nicht in eine Kategorie stecken. So müssen wir in diesem Monat mal zumindest einleitend aus dem etablierten Korsett unseres Rückblicks ausbrechen. Wir sind Anfang September Eltern geworden, was wohl eines der krassesten Erlebnisse unseres Lebens bis hierher war. Es ist unglaublich, plötzlich zu dritt zu sein, und die Welt sieht auf einmal ganz anders aus. Keinesfalls nur rosarot, leider, das kann auch ein Kind nicht leisten. Aber die Perspektive verschiebt sich doch. Das soll allerdings für unseren Blog nicht zum Nachteil sein! Bestimmt wird hier nicht mehr ganz so regelmäßig etwas passieren wie zuvor. Aber wir sind weiterhin voll an Bord und schaukeln unsere so ganz unterschiedlichen Kinder nun zusammen durchs Leben.


Gelesen

JULIANE: Direkt zu Beginn des Monats habe ich ein Buch gelesen, dass ich wohl aus zweierlei Gründen niemals mehr vergessen werden. Zum einen ist Hässlichkeit von Moshtari Hilal nicht nur gestalterisch wunderschön, sondern auch inhaltlich – die experimentelle Mischung aus Essay, Lyrik und literarischen Collagen zu Hass und Hässlichkeit gehören jetzt schon zu meinen Jahreshighlights –, zum anderen las ich dieses Buch just in dem Moment, als Anfang September plötzlich meine Fruchtblase platzte. Ein in vielerlei Hinsicht beeindruckendes Buch.
Außerdem habe ich im September zwei Bücher über Mutterschaft beendet: Lebenswerk von Rachel Cusk und Das Baby ist nicht das verdammte Problem von Ana Wetherall-Grujić – beide sehr lesenswert mit unverklärtem Blick auf das Leben mit Baby.
Und seit langem durfte es auch mal wieder eine Graphic Novel sein, die ich nur so verschlungen habe: Scheiblettenkind von Eva Müller erzählt vom Aufwachsen in prekären Verhältnissen in der BRD kurz nach der Wende, von Klassismus und einer erfolgreichen Selbstfindung.

STEFAN: Im September sind tatsächlich vier Rezensionen auf dem Blog erschienen, was endlich mal wieder eine ordentliche Leistung ist.
Paradiesische Zustände von Henri Maximilian Jakobs macht den Anfang. Der bemerkenswerte Debütroman zeichnet das ebenso detaillierte wie emotionale Bild einer Transition. Der Erzähler nimmt uns mit auf seinen Weg zu sich selbst und teilt alle Frustrationen, Beleidigungen, Rückschläge und Schmerzen mit uns. Ein harter Roman, der keinen Deut leichter hätte sein dürfen.
Ins Dystopische geht es dann mit Wie die Fliegen von Samuel Hamen. Der Roman kreuzt Krimi Noir mit dystopischem World-Building im Angesicht des Klimawandels. Für mich bleibt dabei allerdings etwas zu viel im Dunkeln, die vielen Ideen werden für mich zu wenig auserzählt und bleiben dadurch skizzenhaft.
In unserem Beitrag zum diesjährigen #buchpreisbloggen habe ich dann den Roman Doppler von Thomas Oláh besprochen. Leider konnte ich dem österreichischen Anti-Heimatroman nicht zu viel abgewinnen, zu abgeschmackt-ironisch war für mich der Ton, zu wenig zwingend die Episodenform, zu wenig originell das Familiengeheimnis, auf das alles zusteuert.
Mit Nadine von Katrin Seddig macht dann aber noch ein Roman nach meinem Geschmack den Abschluss. Er erzählt anhand seiner Hauptfigur die Geschichte einer Frau aus dem eher bildungsfernen Mittelstand, die an die Grenzen des Erträglichen kommt. Ihm gelingt es, die Geschichte einer Emanzipation komplett ohne Bezüge zum eher akademischen Feminismus zu erzählen und schafft damit eine neue Perspektive beim Anschreiben gegen das Patriarchat.

Gesehen

STEFAN: Viel Zeit zum Fernsehen war im September nicht, oft waren doch alle Hände voll zu tun. Eine absolute Perle haben wir aber dennoch geschafft, und zwar die vierte und letzte Staffel Sex Education. Die Serie zeigt in dieser Staffel, wie Diversität abseits des Klischees dargestellt werden kann, ohne auf Humor zu verzichten. Selbst die knapp an der Satire gezeichnete Schule wirkt in keinem Moment lächerlich, während in den Plots der Wert von Freundschaft, Liebe und gegenseitiger Akzeptanz in aller Unterschiedlichkeit gefeiert wird. Ein mehr als würdiger Abschluss.

JULIANE: Irgendwie haben wir dann aber doch relativ viel geschaut, weil wir ja nicht so wirklich das Haus verlassen haben, Stichwort Wochenbett. So kam uns der Release der zweiten Staffel der ZDFneo-Serie Loving Her ganz gelegen. Die erste Staffel mochten Stefan und ich sehr, die zweite war dann leider eine kleine Enttäuschung – zu langsam erzählt, Plot zu stark ausbuchstabiert. Da blieb wenig Raum für eigene Gedanken oder Schlussfolgerungen.
Ansonsten wurde viel nebenbei geguckt, so z. B. die Dauerbrenner Gefragt – Gejagt im Ersten und The Voice of Germany – Premiumkost!

Gehört

JULIANE: Babyschreie – Babyglucksen – Babypups – Babyröcheln – Babygrunzen – Babyschnarchen – Babyschmatzen – Babyniesen …

STEFAN: Ich bin drangeblieben und muss mich revidieren: Das neue Album Multitudes von Feist hat keine coolen Momente, sondern ist wieder ein absolutes Meisterwerk! Es hat einiges Hören gebraucht, um in die komplexere Welt des Albums einzutauchen, und das zahlt es nun mit jeder Sekunde zurück. Genauso intim wie orchestral schafft es große Momente, die ich nicht mehr missen möchte.

Gemacht

JULIANE: Am ersten des Monats ging es für uns nach Berlin Mitte zur Eröffnung der neuen Buchhandlung Literaturensohn. Richtig schön war das, auch und vor allem weil Inhaberin Coco Meurer so einen schicken Ort der Begegnung mit einer ganz feinen Buchauswahl geschaffen hat. Geht doch mal vorbei, wenn ihr in der Nähe seid.

STEFAN: Bevor sich diese Kategorie auf Trösten, Wickeln und das Glück der kleinen Schläfchen verschränkte, waren wir Anfang September noch am Wannsee, um das lcb Sommerfest zu feiern. Ullstein hat dieses Jahr ausgerichtet, sodass ich mit all meinen Kolleg*innen ein wirklich gelungenes Programm feiern durfte. Meine Highlights waren die Vorstellung des neuen Literaturmagazins DELFI sowie des Buchs zum Podcast Lage der Nation, Die Baustellen der Nation. Magazin als auch Sachbuch durfte ich als Hersteller betreuen – so viele Geburten im September!

Kategorie Blog, Mischmasch

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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