[wortmeldungen 2024] Nilufar Karkhiran Khozani: In Schatten gebannt

Das neue Jahr startete mit der Verkündung der Shortlist des diesjährigen WORTMELDUNGEN Ulrike Crespo Literaturpreises für kritische Kurztexte. Wir freuen uns riesig, euch auch in diesem Jahr die Shortlist-Texte sowie spannende Interviews mit den Finalist*innen präsentieren zu dürfen. Den Anfang macht der Essay In Schatten gebannt von Nilufar Karkhiran Khozani.

Am 16. September 2022 starb Jina Mahsa Amini in Teheran, nachdem sie von der islamischen Sittenpolizei des Regimes festgenommen und misshandelt worden war. Die darauffolgenden Proteste der iranischen Frauen und Männer sind die größten seit Jahrzehnten in der streng patriarchalen Theokratie. Bis heute wurden über 15.000 Menschen inhaftiert, über hundert hingerichtet.

Die Proteste berühren natürlich auch die vielen Tausend Diaspora-Iraner*innen, die seit den 1970er-Jahren aus dem Land geflohen sind. Doch was kann man tun, um den Protesten vor Ort und den Gräueltaten der Revolutionsgarden auf größten Entfernungen beizukommen? Nilufar Karkhiran Khozanis Text In Schatten gebannt beschreibt die Gefühle der Diaspora-Iraner*innen auf ihre ganz eigene Weise.

Der Text beschreibt die Auseinandersetzung mit den versprengten Nachrichten, Videoschnipseln und Bildern, die uns hier in Deutschland aus dem Iran erreichen. Karkhiran Khozani übersetzt die Meldungen ins Deutsche, um alles zu verstehen, gleichzeitig aber auch eine Distanz zum Geschehen zu entwickeln. Um dieses Verhältnis von Nähe und Distanz, um das Gefühl der Machtlosigkeit und Unsichtbarkeit dreht sich der Text. Er erzeugt so eine hohe emotionale Dichte, die die Distanz der Diaspora zu den Menschen vor Ort spürbar macht.

Hier könnt ihr den Text von Nilufar Karkhiran Khozani nachlesen. Um dem Text noch etwas mehr Kontext zu geben, haben wir der Autorin ein paar Fragen gestellt.


Khozani

Dein Essay geht vom Übersetzen iranischer Meldungen und dem damit einhergehenden Lernen der persischen Sprache aus. Inwiefern ist dies für dich auch eine Form der schreibenden emotionalen Annäherung an die Geschehnisse dort?

Eher im Gegenteil, ich würde sagen, dass mir das Übersetzen ermöglicht, mich ein Stück weit emotional von den erschütternden Inhalten zu distanzieren. Für mich hatten die Meldungen, die mich erreichten, wie übrigens für viele Menschen in der Diaspora, eine triggernde Wirkung. Auf einmal waren heftige Emotionen da, die mich wochenlang nicht losgelassen haben. Ich habe beobachtet, dass bei vielen alte Wunden wieder aufgerissen wurden. Und auch Leute aus der nachfolgenden Generation wie ich, die gar nicht mehr in Iran verwurzelt sind, wurden auf einmal von der Geschichte ihrer Eltern eingeholt. Ich wollte die Informationen in erster Linie zugänglich machen. Das Konzentrieren auf eine sachliche Ebene hat mir dabei geholfen, das ganze Chaos und auch die eigenen Gedanken zu ordnen. Vielleicht ist Übersetzen auch ein bisschen Überleben.

Du schreibst in deinem Text von der »Sprache als kollektivem Trauma«. Gibt es einen Weg, diesem Trauma, bezogen auf Iran, zu entkommen?

Ich glaube nicht, dass man einem Trauma wirklich »entkommen« kann. Viel mehr denke ich, dass eine Chance darin liegt, der Realität ins Auge zu sehen. Es erfordert viel Überwindung, sich mit traumatischen Erfahrungen auseinanderzusetzen, eigene Gefühle anzuerkennen und eine Sprache dafür zu finden, aber das kann schließlich ein sehr heilsamer Prozess sein. Es ist für mich deshalb auch nicht vorstellbar, Iran ohne die jahrzehntelange Gewaltherrschaft der Mullahs zu betrachten. Die Diktatur prägt unweigerlich das Leben der Menschen in Iran und hat für mehrere Generationen Wunden hinterlassen. Das auszublenden macht es nicht besser. Aber Iran ist mehr als die letzten 45 Jahre. Obwohl ich gefühlt immer nur ein paar Bruchstücke von diesem Land zu fassen bekomme, bin ich jedes Mal fasziniert, wie viele Facetten, wie viel Reichtum in dieser alten und sehr vielfältigen Kultur liegen. Das ist für mich sofort spürbar, wenn ich mich auf die Sprache einlasse oder an die Begegnungen denke, die ich mit dem Land hatte. Da ist so viel Schönheit, die mir ganz viel Zuversicht gibt. Und es ist ein kaum auszuhaltender Widerspruch, dass all das gleichzeitig mit dieser Brutalität existiert.

»In Iran findet die erste feministische Revolution statt, und die Welt schaut nicht hin.« Was denkst du, woher kommt diese Ignoranz?

Sicher sind rassistische Zuschreibungen und Vorurteile die Ursache für die große Distanz zu den Menschen in Iran. Aber wie entsteht sowas? Die Ignoranz gegenüber den Geschehnissen ist auch deshalb meiner Meinung nach so groß, weil Iran tatsächlich ein Land ist, das vielen sehr verschlossen ist. Es gibt kaum verlässliche Informationen oder Austausch, da das Land systematisch abgeschottet wird. Da entsteht schnell der Eindruck, dass uns das, was dort passiert, nicht betrifft. Viele eingewanderte Iraner:innen mussten ganz viel hinter sich lassen. Sie gaben sich Mühe, möglichst unsichtbar und angepasst zu sein, um neu anfangen zu können. Daher gerät ganz schnell in Vergessenheit, dass viele Menschen in Deutschland sehr betroffen sind, auch wenn man es vielen im Alltag nicht anmerkt. Und für Nicht-Betroffene ist es natürlich unangenehm, wenn man auf einmal damit konfrontiert ist, dass man nicht wie gedacht in einer heilen Welt lebt. 

Ist es nun an der Zeit für die vielen Diaspora-Iraner*innen, aus ihrer Unsichtbarkeit herauszutreten? Und welche Rolle können die Sozialen Medien dabei spielen?

Die Diaspora ist längst dabei, aus ihrem Schatten herauszutreten, aber hat es dabei nicht immer leicht. Soziale Medien sind nach wie vor oft die einzige Möglichkeit für die Menschen in Iran, auf die Unterdrückung aufmerksam zu machen. Gleichzeitig müssen die klassischen Medien nachziehen, und da ist noch Raum für Verbesserung. Es gibt viele engagierte Journalist:innen, die sich schon seit Jahren mit Iran beschäftigen und große Expertise haben. Aber leider werden immer wieder Narrative des Regimes ungefiltert von deutschen Medien übernommen. Sie sprechen dann von möglichen Reformen oder relativieren die Bewegung nach über einem Jahr immer noch als »Proteste gegen das Kopftuchgebot«. Das Regime gibt sich zudem große Mühe, im Ausland ein positives Image zu vermitteln und zu beschwichtigen. Die Aktivitäten und Verstrickungen der Mullahs mit Politik und Wirtschaft im Westen sind enorm. Unter diesen Bedingungen stößt der klassische Journalismus an seine Grenzen. Iraner:innen haben jahrzehntelange Erfahrung mit dem Regime und dessen sprachlicher Codes und erkennen schnell, wenn tendenziös berichtet oder die Tragweite der Proteste heruntergespielt wird. Das wird noch zu selten gewürdigt, dabei sind diese Stimmen eine wichtige Informationsquelle. Sie müssen ernst genommen und viel mehr mit einbezogen werden. 

Was kann Literatur gerade heute bewegen?

Neben den vielen Informationen, die wir heutzutage oft oberflächlich aufnehmen, ermöglicht Literatur emotionale Zugänge. Sich auf eine Geschichte einzulassen schafft eine Verbindung, die nicht zu ersetzen ist. Wir werden von Erzählungen oder Figuren berührt, und sie sprechen uns als Menschen an. Damit erlauben Geschichten uns, uns an etwas Fremdes aber letztlich auch an uns selbst anzunähern. Ich glaube, dass Menschen sich gerade in einer Informationsgesellschaft nach so etwas sehnen.

Vielen Dank für deine Antworten.

Nilufar Karkhiran Khozani wurde 1983 geboren, ist Autorin und lebt in Berlin. Sie studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Psychologie und machte eine Ausbildung zur Verhaltenstherapeutin. Ihre Texte wurden in verschiedenen Literaturzeitschriften veröffentlicht. 2020 erschien ihr Lyrikdebüt Romance Would Be a Very Fine Bonus Indeed (Re:sonar Verlag), im gleichen Jahr war sie Artist in Residence beim PROSANOVA Festival in Hildesheim. 2023 erschien das vielbeachtete Romandebüt Terafik (Blessing Verlag).


Hier findet ihr alle Vorstellungen der diesjährigen Shortlist-Texte.


Der »WORTMELDUNGEN Ulrike Crespo Literaturpreis für kritische Kurztexte« wird jährlich von der Crespo Foundation ausgelobt. Er ist mit 35.000 Euro dotiert und wird für herausragende literarische Kurztexte verliehen, die sich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen. Bisher erhielten den WORTMELDUNGEN-Literaturpreis Petra Piuk, Thomas Stangl, Kathrin Röggla, Marion Poschmann, Volha Hapeyeva und Judith Schalansky. Der mit 15.000 Euro dotierte Förderpreis schließt an den Literaturpreis an und soll noch unbekannte Autor*innen motivieren, in Auseinandersetzung mit dem Thema des Gewinner*innentextes eine eigene literarische Position zu formulieren.


Disclaimer: Dieser Blogbeitrag ist Teil einer bezahlten Kooperation mit der Crespo Foundation.

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