[wortmeldungen 2024] Elena Messner: Kühe

Es geht weiter mit der Shortlist des diesjährigen WORTMELDUNGEN Ulrike Crespo Literaturpreis für kritische Kurztexte. Der zweite Text ist Kühe von Elena Messner.

Wenige Themen sind für Menschen so emotional besetzt wie die Ernährung. Man denke nur an das Veggie-Day-Debakel vor mittlerweile elf Jahren, als der Vorschlag, in öffentlichen Kantinen an einem einzigen Tag in der Woche nur vegetarische Gerichte anzubieten, beinahe einen Volksaufstand heraufbeschworen hätte und der Slogan »Ich lasse mir mein Fleisch nicht verbieten!« Wellen auf Social Media schlug. Was natürlich am eigentlichen Thema vollkommen vorbeiging, aber beim Fleisch hört der Spaß als integraler Bestandteil der eigenen Identität eben auf.

Beim glücklichen Fleischkonsum spielt Verdrängung dann eine zentrale Rolle. Denn wer denkt beim genussvollen Biss in die Wurst oder das Filetsteak schon an das Tier, das ein kurzes Leben in Dunkelheit und ohne Bewegungsfreiheit führen muss, dann tausende Kilometer durch Europa gefahren wird, um schließlich auf einem deutschen Fließband von osteuropäischen Leiharbeiter*innen für einen Hungerlohn industriell geschlachtet zu werden?

In ihrem erzählenden Text Kühe geht Elena Messner dem Gegensatz von Genuss und Leid nach, der sich im Fleischkonsum trifft. In der Protagonistin prallen Lust auf Fleisch und Ekel vor der leidvollen Produktion für die Tiere auf der einen und die Arbeiter*innen in den Schlachtfabriken auf der anderen Seite aufeinander. Interessant dabei ist, wie sie den wirklichen Konflikt vermeidet, beide Seiten reflektieren kann, ohne sie je komplett zusammen zu sehen – was Konsequenzen fordern würde. Verdrängung at its best.

Hier könnt ihr den Text von Elena Messner nachlesen. Um dem Text noch etwas mehr Kontext zu geben, haben wir der Autorin ein paar Fragen gestellt.


Messner

Die Protagonistin in deinem Text verspürt eine starke »Lust auf Fleisch« und leidet gleichzeitig unter den Qualen, die die industrielle Produktion von Fleisch heutzutage bedeutet. Wie kann beides in unserer Gesellschaft heute noch miteinander vereinbart werden?

Diese Frage ist eine zentrale. Aus ihr ist die Protagonistin meines Textes im Grunde entstanden. Obwohl sie sich selbst diese Frage nicht mit dieser Klarheit stellt. Sie lebt sie vielmehr in all ihren Widersprüchen und Widersprüchlichkeit – physisch und intellektuell, in ihrer Arbeit und in ihren Beziehungen. Ich hoffe, dass gerade die Kapazität, das Widersprüchliche an der »Lust auf Fleisch« bei gleichzeitigem Wissen über und Arbeiten gegen das Leid der so genannten »Nutztiere« auszuhalten, sowohl die Stärke der Protagonistin als auch das Provokante, Politische, und ja, vielleicht Produktive an meinem Text ist. Denn die einfachste Antwort auf dieses fundamentale »Wie?« wäre ja die Feststellung, diese zwei Dinge seien heutzutage sowieso unvereinbar geworden. Dann wäre scheinbar alles gesagt und die Sache erledigt, ja, dann wären genau diese Widersprüche, die die Figur in sich trägt, effizient verdrängt. Ich glaube, die Schwere der Antworten darauf – in jedem Sinn dieses Wortes –, also die Komplexität, die dieses »Wie?« in einer ehrlichen Beantwortung erfordern würde, ist überwältigend. Und diese Überwältigung wollte ich zum eigentlichen Ausgangspunkt für mein Schreiben machen. Über dieses »Wie?« nachzudenken ist ein Kampf gegen das Überwältigtwerden durch die Realität einer durchindustrialisierten globalen Fleischindustrie, die diesem »Wie«, auf das es sehr wohl Antworten gibt, ja gar keinen Platz geben will. 

Inwiefern spiegelt sich unser Umgang mit Nutztieren auch in unserem zwischenmenschlichen Umgang wider?

Ich habe versucht, die Brutalität, die sich aus dem Begriff des »Nutzens«, des »Nutzbarmachens« speist, anhand der Arbeitsverhältnisse in der Fleischindustrie zu zeigen: Die irrwitzigen und zugleich derart normalisierten, gerne bagatellisierten Produktionsbedingungen in unseren europäischen kapitalistischen Gesellschaften bedeuten nie »nur« die Ausbeutung von Tieren, sie gehen immer auch mit der Ausbeutung von Menschen einher. Unser Wissen darüber, dass auch der Mensch auf seine reine industrielle Verwertbarkeit reduziert und dehumanisiert wird, sollte es uns doch eigentlich ermöglichen, über Klimagerechtigkeit und unsere Ernährung als soziale Frage zu sprechen und darum solidarisch zu agieren. Aber das vorhandene Wissen über die Ausbeutung von Menschen in der Fleischindustrie ändert genauso wenig an unserem Verhalten wie unser Wissen über die menschliche Brutalität gegenüber Tier und Natur. 

Wie lief deine Recherche zu diesem Text ab und wie sehr hat sie deine Sicht auf Fleischkonsum verändert?

Mein Blick hat sich überhaupt nicht geändert. Leider hat jede Recherche eher das bestätigt, was ich ohnehin wusste, was wir alle doch längst eigentlich wissen. Und das ist eines der Leitmotive des Textes geworden: Wir wissen das alles. Und was macht dieses Wissen mit uns? 

Der Fleischkonzern wie auch der »Fleischbaron« stehen sinnbildlich für die Abgründe des neoliberalen Kapitalismus. Hast du noch Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft abseits von reiner Gewinnmaximierung und steten Wachstums?

Es wäre verlockend, darauf einfach mit »Nein« zu antworten. Dann wäre auch hier jede weitere Diskussion und folglich jede weitere Notwendigkeit zu handeln beendet. Man könnte nur noch auf eine erfolgreiche Verdrängung hoffen. Ich habe mir aber stattdessen eine Art pragmatische Hoffnung auf Hoffnung angewöhnt, vor allem solange ich noch beobachte, wie viele Menschen auf unterschiedlichste Art und Weise gegen diesen Wahn des Wachstums und die damit einhergehende Ausbeutung und Zerstörung kämpfen. 

Was kann Literatur gerade heute bewegen?

Mehr als ihr im Allgemeinen zugetraut wird. Vor allem, wenn sie darauf besteht, dass sie die beste Kunstform ist, um scheinbar übermächtige Erzählungen – etwa die kapitalistische Romanze über das Glück, das im Wachstum liegt – auch sprachlich, nicht nur inhaltlich – in Frage zu stellen. Literatur hat den Vorteil, dass in ihrer größten Schwäche, nämlich der Tatsache, dass sie erst gelesen werden muss, um wirksam zu sein, auch ihre Stärke liegt. Weil sie einerseits, wenn sie denn wirklich gelesen wird, große Konzentration und viel Zeit erfordert, im Ausgleich dafür aber auch das für sie typische hohe Maß an gedanklicher und emotionaler Komplexität erzeugt, ein Denken in Gefühlen, ein Denken durch Gefühl. Das kann wahrscheinlich sonst kaum eine Kunstform so intensiv herstellen, weil fast alle anderen Künste stärker auf körperlichen oder auf sinnlichen Eindrücken basieren – Tanz, Kunst oder Musik. Eine andere Konkurrenz zu Literatur ist die Wissenschaft, und die tut wiederum so, als ob sie ganz körperlos und emotionslos denken könnte. Die Literatur kann aber genau an der Schnittstelle, wo Emotion und Denken zusammenkommen, agieren, im Bewussten und Unbewussten zugleich, und insofern kann Literatur zwar nichts sichtbar Äußeres in Bewegung bringen, dafür aber Inneres. Wenn man diesen Gedanken ernst nimmt, könnte man ihm nun natürlich gleich entgegensetzen: Ist nicht die innere Veränderung einer Perspektive – oder auch nur von Teilen von ihr – nicht gerade die nötige Voraussetzung dafür, sich eine Welt, oder auch nur einen klitzekleinen Teil von ihr, anders vorstellen zu können? Und greift nicht die Vorstellung, die Perspektive auf Möglichkeiten in unser Handeln ein? Formt es mit? Und adaptiert es – vielleicht auch nur minimal – hinsichtlich einer etwas anderen Zukunft? Aber man wird mit Leichtigkeit auch heute wie immer schon gegen Literatur einwenden können, dass sie zu viel Konzentration und Zeit verlangt, um etwas Konkretes, Sichtbares zu verändern, dass sie freilich in einem eng gefassten Sinne nicht imstande ist, Menschen zu mobilisieren oder sie zur politischen Tat anzuhalten. Wir könnten daraus schlussfolgern: In einer klassischen Kosten-Nutzen-Kalkulation ist Literatur natürlich nutzlos, und das ist vielleicht auch gut so. Denn da wären wir wieder bei diesem schrecklichen Wort – dem »Nutzen«, der so viel Übel in sich trägt. 

Vielen Dank für deine Antworten.

Elena Messner wurde 1983 geboren, ist Schriftstellerin und Kulturwissenschaftlerin und lebt in Wien. Sie lehrt an verschiedenen Universitäten und forscht seit 2023 als Senior Scientist (FWF) an der Universität Wien. Sie publiziert Prosa, Essays, Theatertexte sowie literaturwissenschaftliche Texte. Für ihre literarische Arbeit erhielt sie 2021 den Kärntner Förderungspreis für Literatur, ein Arbeitsstipendium für Literatur der Stadt Wien 2022 sowie ein Langzeitstipendium für Literatur des BMKOES. Zuletzt erschien der Roman Schmerzambulanz (Edition Atelier, Wien 2023), für den sie den Theodor Körner-Preis erhielt.


Hier findet ihr alle Vorstellungen der diesjährigen Shortlist-Texte.


Der »WORTMELDUNGEN Ulrike Crespo Literaturpreis für kritische Kurztexte« wird jährlich von der Crespo Foundation ausgelobt. Er ist mit 35.000 Euro dotiert und wird für herausragende literarische Kurztexte verliehen, die sich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen. Bisher erhielten den WORTMELDUNGEN-Literaturpreis Petra Piuk, Thomas Stangl, Kathrin Röggla, Marion Poschmann, Volha Hapeyeva und Judith Schalansky. Der mit 15.000 Euro dotierte Förderpreis schließt an den Literaturpreis an und soll noch unbekannte Autor*innen motivieren, in Auseinandersetzung mit dem Thema des Gewinner*innentextes eine eigene literarische Position zu formulieren.


Disclaimer: Dieser Blogbeitrag ist Teil einer bezahlten Kooperation mit der Crespo Foundation.

Kategorie Blog, Wortmeldungen-Literaturpreis
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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