[wortmeldungen 2024] Dragica Rajčić Holzner: Besseres Leben. Abschweifungen. Ausschweifungen.

Heute stellen wir euch den dritten Text der Shortlist des diesjährigen WORTMELDUNGEN Ulrike Crespo Literaturpreises für kritische Kurztexte vor: Besseres Leben. Abschweifungen. Ausschweifungen. von Dragica Rajčić Holzner.

Ein anderes Land kann ein neues Leben bedeuten. Einen Neuanfang, ein clean slate in einer anderen Umgebung, einer anderen Sprache, einem anderen Milieu auch vielleicht. Doch für die meisten Menschen ist ein anderes Land kein Neuanfang, sondern ein Weg zum Überleben, ein bloßes Mittel, um die eigene und nicht selten auch die familiäre Existenz zu sichern. Natürlich birgt auch hier das neue Land Möglichkeiten, doch sind diese oft ziemlich restriktiv und verschwinden in einer Mischung aus ganz anderen Erfahrungen. Fremdheit, Einsamkeit, Ablehnung und Schutzlosigkeit bestimmen das Leben, der Hungerlohn lässt kaum mehr zu als unablässig weiterzuarbeiten.

Die Welt vieler Menschen, die Arbeit in reicheren Ländern suchen, ist von diesen Erfahrungen geprägt. Besseres Leben. Abschweifungen. Ausschweifungen. von Dragica Rajčić Holzner verhandelt diese auf der Basis ihres eigenen Lebens. Biographische Brüche stehen dabei im Vordergrund: die Unterschiede zwischen Jugoslawien und der Schweiz, später dann Kroatien und der Schweiz. Zwischen dem Putzen, womit sie in der Schweiz ein wenig Geld verdienen kann, und dem Schreiben, ihrer späteren Arbeit, in der sie wiederum die früheren Erfahrungen verarbeitet. Und zwischen den Sprachen, der Muttersprache und der erlernten, neuen.

Gerade die Sprache rückt in den Vordergrund, da Dragica Rajčić Holzner in einem ungeschliffenen, eben gebrochenen Deutsch schreibt, das die Erfahrung der Fremdheit aus dem Inneren nach außen kehrt. Es zeigt den Leser*innen auf, wie es sich anfühlt, nicht zu Hause zu sein in der Sprache, die man liest, aus allem Gewohnten herausgerissen zu sein. Selbst fremd zu werden. Auch inhaltlich ist der Text ungehobelt, zeigt einen Gedankenstrom, der die Jahre der schweren Arbeit und das Schreiben zusammen betrachtet, immer wieder mit Zitaten durchsetzt, sie aber dabei auch ungebremst ineinanderlaufen lässt und die konventionellen Ansprüche an einen schönen Text gekonnt ignoriert.

Hier könnt ihr den Text von Dragica Rajčić Holzner nachlesen. Um dem Text noch etwas mehr Kontext zu geben, haben wir der Autorin ein paar Fragen gestellt.


Holzner

Brüche bestimmen den Text in Form wie Inhalt. Welche Bedeutung haben Brüche für dein Schreiben?

Vielleicht verdeutlicht die Vorgeschichte der Entstehung des Textes, warum seine Form so ist wie sie ist. Marianne Pletscher, Dokumentarfilmerin aus Zürich, hat Ende der 1990er-Jahre ein Kurzfilm-Porträt über mich und mein Schreiben gemacht.

Viele Stunden Drehmaterial verblieben unbenützt, ein kurzer Film, zwanzig Minuten (was normal sei) wurde gezeigt. Die Wirklichkeit wird durch Schnitte, Ausschnitte zu einer Geschichte umgeformt, so dass es Sinn ergibt, und alles andere bleibt im Dunkeln. Schon damals dachte ich, was wäre, wenn ich dieses Material selber gefilmt hätte, welchen Film hätte ich gezeigt und was weggelassen? Gibt es eine Wahrheit über eigenes Leben aus der Perspektive der Gesellschaft welche dich als Fremden zu würdigen scheint, während Du was auch immer du tust oder sagst nicht ein innerlicher Bestandteil dieser Gesellschaft seist? 

Dass meine Sprache und mein Schreiben als Auswuchs aus meiner sozialen Position und entsprechenden Verortung als Migrantin, Frau, Mutter, soziologisch und nicht literarisch eingeordnet sei, seit ich auf Deutsch schreibe (1982), irritiert mich, weil mein Selbstbild der Dichterin nicht soziologisch, sondern künstlerisch evident ist für mich seit meiner Kindheit.

Als mich dann 2021 Marianne Pletscher (jetzt als Bücher machende Dokumentarfilmerin welche heute mit Fotografien in Bildern arbeitet) gefragt hat, ob ich für ein Porträt-Buch der Reinigungskräfte meine Erfahrung in der Arbeitswelt der niedrigsten Stufe, nämlich Putzen, etwas schreiben würde, sagte ich sofort ja aus Loyalität und auch aus Neugier, was habe ich zu sagen über diese zehn Jahre meines Lebens mit prekärem Einkommen und Schwarzarbeit in der Schweiz, als Flüchtlingsfrau und Autorin. 

Bei der Besprechung des fertigen Textes, auch mit der Lektorin und Marianne Pletscher, mussten wir überlegen wie diese Bruchstücke nicht allzu theoretisch und mit Schwerworten schwanger sein sollen fürs Lese-Publikum, und so wurden einige für mich wichtige Teile entweder verkürzt oder draußen gelassen (wie man das so macht beim Lektorieren). Nun, hier im Wettbewerb von Wortmeldungen kann ich eine ursprünglichere Version des Textes weitergeben. So steckt in meinem Text die Ambivalenz welche sehr schwer auszusagen sei aber gezeigt wird mit der Hilfe dieser Stelzen der Zitate.

Das Schreiben des Textes war ein Ringen mit mir selber, sehr lang, ich versuchte wie ein Routen-Detektiv die wunden Punkte der verlorenen Zeit und der schweren Arbeit zu begehen. Auch dem Echo dieser verdrängten Zeit zu lauschen, meine damaligen Gedanken und Empfindungen zu ergründen, ohne sie zu verfälschen durch den Blick der Gegenwart. Während dieser Begehung der Vergangenheit stieß ich (glaube ich) auf den Kern des Problems von diesen zwei Arten des Arbeitens, sowohl privat wie gesellschaftlich. Das Erleben des Arbeitens und theoretische Sinnieren darüber waren zwei Paar Schuhe, nur Simone Weil damals ging in eine Fabrik, um nüchtern festzustellen, dass nach so erschöpfender Arbeit den ganzen Tag die Arbeiterinnen unmöglich ihre eigene Position verbessern könnten mit entsprechender Theorie, und dass eine marxistische Zukunft sie nicht retten wird, was sehr mutig war Ende der 1930er Jahre zu behaupten. Ich fand diese Resignation auch in mir und die Hoffnung, dass ich durch Lesen mich daraus befreien könnte, dem Bildungsweg aber stand meine prekäre Bezahlung entgegen. Solche Tatsachen werden heute »kulturalisiert«, als ob Arbeit weil von Migrantinnen verübt, an der fremden Kultur scheitern würde und nicht an miserablen Löhnen. 

Als der Text einigermassen für mich akzeptabel war, fühlte ich eine Art Erleichterung und Mitgefühl mit mir. Ein Teil dieses Gefühls war dieses Erinnern-Müssen, weil Empathie eben auch Erinnern voraussetzt. Zugleich machte ich mir Sorgen: wie wäre diese Empathie auch mit anderen zu behalten oder (wie es Hannah Arendt unter dem Begriff Vita Activa verlangt) praktisch umzuwandeln. Dass ich in das Finale von Wortmeldungen mit meinem Text kam, ist einer von möglichen Wegen, richtige Fragen auch mit anderen zu diskutieren, was wir tun und tun können in der Umsetzung der Empathie, im Ändern der strukturellen und persönlichen Beiträge zur Problematik der prekären Arbeit.

Du schreibst von der »Generation, die weg muss«, die unter den Folgen des Krieges leidet – gibt es einen Ort für diese Generation? Wo kann der sein?

Diese verkürzte und nicht von mir begründete Aussage stammt aus George Saikos Roman Auf dem Floss (1948). Die Handlung des Romans ist angesiedelt zwischen den beiden Weltkriegen, der in der Darstellung neue Wege geht; mit dem Auflösungsprozess der mitteleuropäischen Gesellschaft als Hintergrund.  Die Generation der Alten aus dem Kreis der Aristokraten ist Verursacher der Auflösung des sozialen Zusammenhalts der Gesellschaft und des Zerfalls humanitärer Werte. Die Auflösung der Generation der Aristokraten wird in einem Gespräch zwischen Eugen und dem Fürsten folgendermaßen erkannt:

– Ja, das Vorher und Nachher des Kriegs – wir haben an die Medaille geglaubt und an ihre Kehrseite –, was haben wir nicht alles geglaubt! Wie lange wird man uns noch erlauben, unsere Romantik zu treiben? Machen wir uns nichts vor – wir sind die Generation, die weg muss.

Das kann man unter diesem Link auch nachlesen.

Das gebrochene Deutsch des Texts verweist auf Migration, Sprachwechsel und Mehrsprachigkeit. Wie anders ist das Schreiben in der Zweitsprache Deutsch?

Ich schreibe seit 1985 in meinem eigenen Deutsch, welches die Regeln wie Rechtschreibung und Grammatik wenig beachtet und somit den Leser in die Rolle des Fremden versetzt. Die Sprache wird zu einer Materie, die neu erarbeitet werden muss. Mein besonderes Verhältnis zum literarischen Gebrauch der deutschen Sprache ist Gegenstand vieler Diskussionen in germanistischen Konferenzen seit 1988 mein erster Gedichtband Halbgedichte einer Gastfrau in der Schweiz veröffentlicht wurde.

Ich glaube dass bei mir ständig ein fast unbewusster Übersetzungsprozess stattfindet, aus dem Kroatischen (ungeschriebenen) ins Deutsche fürs Schreiben. Es ist eine Art »übergelaufene« Literatur bestehend aus und in beiden Sprachen.

Ob es einen Mehrgewinn durch das Schreiben in der zweiten Sprache gibt, in der Verschärfung der Dioptrie (Dvogled) zweifach sehen oder des Dalekozor, Fern- Ohr, ich lese und schreibe immer Fern-Ohr, weil ich das R übersehen habe, das beantwortet das Publikum verschieden, je nach eigener Position, es ist auch politisch konnotiert, es gibt eine Scham bei Secondos, und auch eine Ignoranz.

Ich lade aber auch auf jedes Wort die Last der kroatischen Bedeutungen auf, zum Beispiel Srce, Herz; es hat etwas Konspiratives, dieses Aufladen ist die Weitergabe einer in mir versteckten Umwelt des Wortes, so etwas wie Aura. Komischerweise ist 1 überall weniger als 2 außer in der Beurteilung der Nationalliteraturen. 

Die Besonderheit der Muttersprache beschreibt Milan Kundera (welcher nebst Tschechisch – bis in die Mitte des Lebens – dann aber Französisch schreibt); er untersucht die Wirkung seiner Muttersprache nach der Rückkehr nach Prag. Sein Held steigert im Liebesakt bei den gehörten obszönen muttersprachlichen Flüchen sein Begehren, ein obszöner Fluch macht ihn zu einem früheren Ich, das nie die Heimat verlassen hat, zum Mann von gestern. 

Die Kraft des Augenblicks ist entstanden bei diesen erotischen Wörtern – wie er sagt – durch eine über Jahrhunderte überlieferte Wort-Geschichte und ist dort zu suchen. Der Wortzauber wird existenziell und gefühlsmässig und entlockt, befreit sein früheres Selbst aus der Versunkenheit. 

Oder, besser als ich hat das Rainer Moritz festgestellt als er über mein Theaterstück Glück schrieb: »Die Worte Ana Jagodas werden ihr selber zur beklemmenden Wirklichkeit und gleichzeitig zum einzigen Schutz vor derselben.« Oder, wie Ana sagt: »Die Buchstaben holen die Realität zurück«.

Dass Mehrsprachigkeit Wert hätte, wird zwar immer wieder gesagt, aber es bleibt bei einer symbolischen Wertschätzung. Das bestätigt mir auch meine Erfahrung in den Schweizer Schulen, wo ich Schreibkurse gebe, sie zeigt: Die erste Sprache der Schüler*innen, die zuhause nicht Deutsch reden, spielt im Unterricht überhaupt keine Rolle. Seit der Französischen Revolution ist die Sprache ein Grundrecht der freien Menschen. Auf dem Weg zum Nationalstaat hat sich dies in »ein Land – eine Sprache« entwickelt. Dass die Schweiz in ihrer Verfassung die Sprachenfreiheit verankert hat, ist auf den ersten Blick mehr als lobenswert. Im Bundesgesetz über Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften steht sogar: »Im Verkehr mit Personen, die keine Amtssprache beherrschen, verwenden die Bundesbehörden nach Möglichkeit eine Sprache, welche diese Personen verstehen.«

Aber inzwischen lebt in der Schweiz ein Viertel der Bevölkerung ohne einschlägige Bürgerrechte. Denn für diese eingewanderten Menschen gilt der Erwerb der »Landessprache(n)« als Grundvoraussetzung für das Aufenthaltsrecht, die Einbürgerung und damit die Mitsprache. Was einmal als kommunikative Hilfe gedacht war, hat sich binnen kurzem zur Assimilations- und Repressionswaffe entwickelt.

Was kann Literatur gerade heute bewegen? 

Meine Sicht auf die Welt ist eine andere geworden nach dem Krieg in Kroatien. Es beschäftigt mich nicht mehr nur theoretisch, sondern existenziell, wie Nationalismus und Gewalt entstehen und wie man sie überwinden könnte. Meine beiden Brüder und das halbe Land erleben wieder Postkriegstraumata. Ich hoffe und glaube noch immer, dass Aufklärung hilft, ich suche in literarischen und wissenschaftlichen Werken nach Wegen, ich lese und wiederlese zu prüfen was die Vergangenheit über das Heute aussagt, und überprüfe damit auch meine heutigen Gesichtspunkte.

Hier ein paar Kerngedanken, welche auch in meinem Buch Warten auf Broch, Text über Text (2011) vorkommen. Ich habe dieses Buch als Autorin in Residenz in den USA verfasst, noch vor der Barack Obama-Zeit, wo ich über den österreichischen Schriftsteller, Philosophen und Mathematiker jüdischer Herkunft Hermann Broch (1886–1951) recherchiert habe. Broch war einer der ersten Diagnostiker des Gruppenwahns des aufsteigenden Nationalismus in den 1930er Jahren in Deutschland und Österreich mit seinem Bergroman. In seinen früheren Romanen Die Schlafwandler und Die Verzauberung beklagt der Autor den Zerfall der Werte (in erster Linie des katholischen Glaubens und der bürgerlichen Moral); der führte zur Angst der Protagonisten und zur Zufluchtssuche in eine Wir-Ideologie, und diese Ideologie macht einen angeblich stark, weil sie mit der Idee Ich habe die Welt operiert. Auf der anderen Seite bleibt ein einsames Ich in der Welt, welches statt Ich habe die Welt sich nur auf Ich bin in der Welt berufen kann.

Die neuen Messias-Figuren damals wie heute wollen die Masse aus der Angst erlösen und demagogisch sie mit Versprechungen locken, welche in rationaler Verkleidung die Tötung der Andersseienden verlangen. Todbringende Erlösung des Einzelnen, sagt Broch, steht der Gewissheit des eigenen Todes des Individuums gegenüber, das in Anbetracht solchen Wissens herausgefordert ist, sein Selbst zu entwickeln, welches (laut Broch) doch nicht vom Menschen selber gemacht ist. Als Ausweg aus der bewussten und unbewussten Verstrickung sieht Broch, dass die Menschen nur anständig, mit Vernunft – ein altmodischer Begriff – miteinander umgehen sollen. Es ist das eine notwendige Voraussetzung des friedlichen Miteinanders und Handelns in der Gemeinschaft.

In seinem großen Poem Der Tod des Vergil, das er mitten im Zweiten Weltkrieg schrieb, besingt Broch die letzten 17 Stunden im Leben des römischen Dichters Vergil, welcher sein Epos Aeneis noch am Totenbett vernichten will, weil sein Freund Augustus dem Zerfall des Römischen Reiches tatenlos zuschaut und alle Ideale welche das Nationalepos besingt über Bord wirft; abgesehen davon findet er sein Werk absolut ungenügend schön. Vergil wünscht sich: »Die Sprache vernichten, die Namen vernichten, damit wieder Gnade sei.« Ein Neuanfang auf der Erde ohne den Schrecken der sprachlichen Erinnerung scheint für den Dichter Vergil wie für Hermann Broch in apokalyptischen Zeiten eine (fatalistische) aber denkbare Lösung.

Am Ende des Buches bekennt sich Vergil zur Kraft der Freundschaft mit Augustus, und er lässt die Aeneis existieren, nicht weil er die Rolle des Dichters im politischen Feld neu konzipiert, sondern weil er das Band zwischen den Menschen (die Männerfreundschaft) bejaht, ohne Illusion weder über die Politik noch die Reinheit der Dichtung. 

Ich habe durch diese lange Beschäftigung mit der Literatur und den theoretischen Schriften Brochs sehr viel lernen können. Er zeigt auf, wie die Kluft zwischen Unsicherheit und Verlorenheit des Individuums von falschen Propheten genützt wird, um Menschen bereit zu machen im Namen sogenannter Ideale einander zu vernichten. Ein Internationales Verbrecher-Tribunal und ein Naturrecht (Ausweis der Geburt als Erdeinwohner) waren Brochs Forderungen schon 1937 in der Völkerbund-Resolution, welche er ausgearbeitet hat. Mit Hannah Arendt (auch jüdischer Herkunft wie er) hat er darüber heftig kontrovers diskutiert. Hannah Arendt war der Ansicht, dass nur die Geburt in einem bestimmten Staat, welcher dem Einwohner seine Rechte garantiert, die Menschen schützen kann, eine Erdbürgerschaft ohne partikulare Staatsrechte wäre aber nicht durchführbar.

Diese Problematik ist u.a. heute zum Beispiel in der Situation eines Volkes ohne einen eigenen Staat – Roma im Kosovo – ersichtlich. Wie jedoch wird der Bürger heute in seinem politischen Handeln wieder mündig, nachdem man ihn doch nur als Globalmarktfaktor in Betracht zieht? Sind wir schon, wie Friedrich Nietzsche schreibt, zum »letzten Menschen« verurteilt, zu einem Menschen, welcher ohne Leidenschaft oder Verantwortung, unfähig zu träumen, des Lebens müde, keine Risiken eingeht, nur Bequemlichkeit und Sicherheit sucht, wie die »letzten Menschen«? Versteht der »letzte Mensch« unter Freiheit den freien Verkehr von Kapital, Finanzdaten und persönlichen Daten, und wie steht es um die Demokratie? Ist sie die Demokratie der Märkte, und der politische Prozess konzentriert sich auf Themen, die für das Kapital gleichgültig sind, wie etwa Kulturkämpfe?

Menschliche Fähigkeit zur Empathie mit einem Du, meint Hermann Broch, ist der Ausweg aus dieser Marktwaren-Ideologie, ihm pflichtet der Psychiater Arno Gruen bei: Zivilisation ist aufgebaut auf Kooperation und nicht auf Konkurrenz. Ohne Empathie keine Demokratie, sagt Arno Gruen und zeigt den ersten Schritt, nämlich dass wir wieder lernen müssen zu empfinden und die Gefühle ins Zentrum unseres Bewusstseins zu stellen. Und wer oder was, wenn nicht Kunst incl. Literatur und Dichtung, zeigt uns den Weg dorthin?

Es gibt eine lange abendländische Tradition, einen engen Zusammenhang zu sehen zwischen Stil und Person, den Stil, den jemand schreibt, als Teil seiner Person zu verstehen. »Le style c’est l’homme même.«

Vielen Dank für deine Antworten.

Dragica Rajčić Holzner wurde 1959 in Kroatien geboren, ist Autorin und Journalistin. Sie lebt heute in Zürich und Innsbruck. Sie schrieb zunächst in ihrer Muttersprache Kroatisch, 1978 kam sie in die Schweiz und begann in deutscher Sprache zu schreiben. 1986 erschien ihr erster Gedichtband Halbgedichte einer Gastfrau. 1988 kehrte sie nach Kroatien zurück, gründete die Zeitung »Glas Kaštela« und arbeitete als Journalistin. 1991 flüchtete sie nach dem Ausbruch des Krieges in Kroatien mit ihren drei Kindern in die Schweiz. Sie veröffentlichte Bücher und Theaterstücke, studierte Soziokultur in Luzern und arbeitete als Zeitungsredakteurin. Für ihre literarischen Texte wurde sie u.a. mit dem Förderpreis zum Adelbert-von-Chamisso-Preis, dem Förderpreis Lyrikpreis Meran und dem Schweizer Literaturpreis 2021 ausgezeichnet. Zuletzt erschien der Roman Liebe um Liebe (Matthes & Seitz Berlin, 2021).


Hier findet ihr alle Vorstellungen der diesjährigen Shortlist-Texte.


Der »WORTMELDUNGEN Ulrike Crespo Literaturpreis für kritische Kurztexte« wird jährlich von der Crespo Foundation ausgelobt. Er ist mit 35.000 Euro dotiert und wird für herausragende literarische Kurztexte verliehen, die sich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen. Bisher erhielten den WORTMELDUNGEN-Literaturpreis Petra Piuk, Thomas Stangl, Kathrin Röggla, Marion Poschmann, Volha Hapeyeva und Judith Schalansky. Der mit 15.000 Euro dotierte Förderpreis schließt an den Literaturpreis an und soll noch unbekannte Autor*innen motivieren, in Auseinandersetzung mit dem Thema des Gewinner*innentextes eine eigene literarische Position zu formulieren.


Disclaimer: Dieser Blogbeitrag ist Teil einer bezahlten Kooperation mit der Crespo Foundation.

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