Geovani Martins: Via Ápia

Vom Kiffen in der besetzten Favela: Geovani Martins erzählt in seinem Debütroman Via Ápia ebenso beschwingt wie bedrückend von den klaffenden sozialen Gegensätzen in Brasilien.

Via Ápia Cover

Wesley und Washington wohnen mit ihrer Mutter in Rio de Janeiro. Die riesige brasilianische Metropole ist berühmt für die Samba, den Karneval, dieses südamerikanische Lebensgefühl voller Schönheit, Strand und Sexyness. Gleichzeitig beherrschen aber auch großflächige Favelas das Stadtbild, in denen oft eine hohe Drogenkriminalität an der Tagesordnung ist und Banden das Gewaltmonopol übernommen haben. Doch natürlich leben hier nicht nur Gangster, sondern alle möglichen Menschen, die sich die rasant steigenden Preise der regulären Viertel nicht leisten können.

So wie eben Wesley, Washington und ihre Mutter in der größten Favela Rio de Janeiros, Rocinha. Klar, die beiden sagen zu einem Joint hier und da nicht nein. Aber viel mehr als Drogen ist ihr Leben geprägt von der Suche nach einem fairen Job, einem offiziellen, mit Arbeitsvertrag und Krankenversicherung. Denn das ist für Menschen aus der Favela alles andere als selbstverständlich. Sie werden von Reicheren ausgenutzt, müssen zu Dumpinglöhnen arbeiten, da sie vom primären Arbeitsmarkt allein durch ihren Wohnort oft ausgeschlossen sind.

Via Ápia ist der Debütroman von Geovani Martins, der schon vor einigen Jahren mit einem Erzählungsband von sich reden machte. Der Roman verbindet die Leben von Wesley und Washington mit denen der WG-Bewohner Douglas, Murilo und Biel, die gleich gegenüber, auf der anderen Seite der titelgebenden Via Ápia wohnen. So zeigt er fünf ganz unterschiedliche Charaktere und Lebensläufe, die in Rocinha ihren gemeinsamen Mittelpunkt haben und sich abends zum Kiffen treffen, um ihre miesen Jobs zu verkraften.

Die Handlung plätschert am Anfang so dahin, bis sich die Vorbereitungen zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro konkretisieren. Denn ein wichtiger Punkt dabei ist die »Befriedung« der vielen Favelas der Stadt, wobei Rocinha als größte im Mittelpunkt steht. Konkret bedeutet die »Befriedung« eine Besetzung der Favelas durch Polizeihundertschaften und Armee, die die Gangs vertreiben und das Gewaltmonopol wieder sichern sollen. Polizeigewalt und Korruption nehmen schnell überhand, sodass sich das Leben der fünf Mittzwanziger ziemlich stark ändert.

Via Ápia lebt vor allem von der Innensicht aus der Favela, und wurde für mich gerade zum Ende hin interessant, also mit dem Einmarsch der Polizeieinheiten in Rocinha. Die Kiffergeschichten vorher hätte ich auch kürzer haben können, das ist schon alles etwas abgedroschen, gibt aber im Ganzen ein gutes und detailliertes Bild des Lebens der ziemlich hoffnungslosen jungen Männer. Stilistisch ist das nicht weiter erwähnenswert, aber – und das ist bei Drogenbüchern für mich ein großes Kompliment – komplett unpeinlich übersetzt von Nicolai von Schweder-Schreiner.

Geovani Martins: Via Ápia | Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Nicolai von Schweder-Schreiner | Suhrkamp | 333 Seiten | 25 Euro | Erschienen im November 2023

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Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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