Slata Roschal: Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten

Über das Verschwinden im Alltag: Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten von Slata Roschal ist ein höchst emotionaler Roman über Mutterschaft und die Bewahrung des eigenen Lebens.

Roschal, Wein trinken, Cover

Eigentlich ist alles okay. Die Kinder sind okay, Eliah ist ein aufgewecktes Kerlchen, die wenige Jahre jüngere Laura macht sich ebenfalls gut. Gernot ist als Vater vollkommen okay, als Ehemann auch, beteiligt sich, sitzt nicht nur rum. Außerdem verdient er ordentlich. Doch vielleicht ist gerade Letzteres auch Teil des Problems.

Denn ja, er verdient ordentlich, so ordentlich, dass die Familie sich keine Sorgen um das Geld machen muss. Und sie auch nicht. Sie kann weiterhin einen Übersetzungsjob hier und da machen, Stipendien für ihre Arbeit bekommen, manchmal sogar kleine Preise. Und doch fühlt es sich nie an, als würde es reichen. Und leicht ist es schon gar nicht, jeder verdiente Euro scheint für sie zehn an Mühen zu kosten. Und am Ende kriegt eh das Finanzamt das meiste, Ehegattensplitting sei Dank.

Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten von Slata Roschal gibt Einblick in das Bewusstsein einer Frau, die kämpft. Sie kämpft mit ihrer Rolle als Mutter und dem Blick, den sie als solche permanent auf sich spürt. Mit ihrer Rolle als Ehefrau, die in einer guten und gesunden Beziehung lebt, und doch nie das Gefühl hat, gleichwertig zu sein. Und ihrer Rolle als Übersetzerin, die sie zwischen all den häuslichen Themen noch einnehmen will, die sie aber immer weiter aufreibt und einfach nicht ins Laufen kommen will in einem Literaturbetrieb, der seinen Arbeiter*innen volle Flexibilität und ständige Erreichbarkeit abverlangt.

Der Defätismus des Titels spiegelt sich in der Rede der Protagonistin. Sie sitzt in einem Hotelzimmer in Berlin, weg von der Familie auf einer Art Übersetzungsretreat, und ihr Leben rinnt ihr durch die Finger. Beim Lesen ihres stotternden, springenden und immer wieder Lücken lassenden Bewusstseinsstroms können wir als Leser*innen tief eintauchen in ihre Verzweiflung. Am Ende krallt sie sich an das einzige, was zu ihr zu sprechen scheint: einen schlecht bezahlten, winzigen Übersetzungsjob mit ein paar Familienbriefen von deutschen US-Auswanderern aus den 1920er-Jahren. In der Konfrontation mit einem der Absender, Joseph, findet sie den Halt, der ihr lange gefehlt hat.

Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten vereint eine ebenso ungeschönte wie ehrliche Perspektive auf Mutterschaft mit einer Sprache, die komplett für sich steht und trotz aller Lücken schon nach einigen Seiten in den Bann zieht. Hier braucht es keinen Plot, kein traditionelles Erzählen, um zu fesseln und ganz am Puls unserer Zeit zu sein.

Slata Roschal: Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten | Claassen | 176 Seiten | 22 Euro | Erschienen im Februar 2024


Disclaimer: Ich arbeite bei den Ullstein Buchverlagen, zu denen auch Claassen gehört. Der Text spiegelt komplett meine persönliche Meinung wider.

Kategorie Blog, Rezensionen
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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