Deniz Ohde: Ich stelle mich schlafend

Coming-of-Age in Zeiten der Misogynie: Ich stelle mich schlafend von Deniz Ohde handelt vom Großwerden in einer Welt, in der Frauen immer noch mit permanenter Bedrohung leben.

Ohde, Ich stelle mich schlafend, Cover

Yasemin ist ein ziemlich normaler Teenager. Sie lebt in den Plattenbauten irgendeiner Stadt im Süden Deutschlands. Ihre Eltern sind soweit okay, es könnte schlimmer sein. Am Ende hat sie alles, was sie braucht, wenn man mal ganz objektiv hinschaut. Allerdings ist das für einen Teenager natürlich überhaupt keine gültige Kategorie – objektiv?

Als 13-Jährige verliebt sie sich in Vito, einen schönen, aber sehr schweigsamen und dadurch umso geheimnisvolleren jungen Mann aus dem Haus gegenüber. Sie nähern sich an, verlieren sich wieder, doch er bleibt Yasemins erste große Liebe. Dann hat sie einen Unfall, ihre Wirbelsäule ist krumm und schief, sie muss in eine langwierige Physiotherapie. Danach verläuft ihr Leben recht normal, sie wird erwachsen, findet nach einer Phase des Ausprobierens einen Mann, der sie respektiert wie sie ist und verbringt zehn Jahre mit ihm. Bis Vito wieder auftaucht.

Ich stelle mich schlafend von Deniz Ohde stellt wie schon ihr Debüt Streulicht eine migrantisierte Frau aus eher armen Verhältnissen in den Vordergrund. Allerdings ist es diesmal nicht die ganze Trias von Race, Class und Gender, die die Protagonistin wie einen Spielball vor sich her schiebt. Ich stelle mich schlafend konzentriert sich vor allem auf Gender, die anderen beiden klingen nur an. Sprachlich bedient er sich der gleichen Mittel, beschreibt sehr distanziert bis hart Yasemins Innenleben und Handeln aus der dritten Person, hin und wieder auch das der anderen Figuren.

Der Roman erzählt Yasemins Geschichte als die einer Frau, die im Patriarchat aufwächst und der die Kraft fehlt, sich durchgängig gegen dieses aufzulehnen. Sinnbildlich steht ihre Verletzung, ihr demoliertes Rückgrat für ihre Unfähigkeit, für sich einzustehen gegen eine Welt, die ihr feindlich gesinnt ist. Kein Wunder, dass ihr langjähriger Freund Hermann, der sie als die liebt, die sie ist, lange Zeit Befremden in ihr auslöst: Wie sollte man sie einfach so lieben können? Die allgegenwärtige Misogynie hat sich so tief in Yasemin eingeschrieben, dass sie selbst an sie glaubt.

Gut gesetzte Themen also. Leider kommt der Roman für mich aber trotzdem nicht an Streulicht heran. Klar, Deniz Ohdes erster Roman war unglaublich gut, da ist es natürlich schwer, ihn zu toppen. Ich stelle mich schlafend benutzt ein ähnliches Rezept und variiert das Thema. Das ist gut, allerdings erscheint mir Yasemin hier immer einen Ticken zu reißbretthaft gezeichnet, die Handlung in ihrer Dramatik einen Ticken zu überdreht, die Symbole einen Ticken zu gewollt und offensichtlich, der Stoff einen Ticken zu dünn, Sprache und Dramaturgie einen Ticken zu wenig ausgearbeitet.

Ich stelle mich schlafend von Deniz Ohde erzählt eine Geschichte der Misogynie, die sich in Körper und Geist der Protagonistin einschreibt und ihr Erwachsenwerden prägt. Ein Roman, der starke Bilder und Szenen entwirft, im Ganzen aber leider nicht so sehr überzeugen kann wie der Vorgänger.

Deniz Ohde: Ich stelle mich schlafend | Suhrkamp | 248 Seiten | 25 Euro | Erschienen im März 2024

Filed under Blog, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

Kommentar verfassen