Jakob Nolte: Die Frau mit den vier Armen

Tatort Hannover: Jakob Nolte schreibt mit Die Frau mit den vier Armen einen Krimi, der das Genre mit Weirdness flutet und ein großes Spiel mit Stereotypen auffährt.

Nolte, Die Frau mit den vier Armen, Cover

An einem kalten, aber klaren Morgen findet Kommissarin Rita Aitzinger in Hannover eine Leiche. Der junge Mann trägt Inlineskates, hat eine eigenartige Hand tätowiert, auf seinem Player läuft ein Lied in Dauerschleife. Mit der Zeit werden die Parallelen zu einem früheren Fall, in dem Rita ebenfalls die Leiche fand, unübersehbar. Alles riecht nach Serienmorden in Hannover. Die Polizei steigt immer tiefer ein in einen verzwickten Fall.

Ich lese mittlerweile praktisch keine Krimis mehr. Nach einer Phase in meiner Jugend, in der ich durch die Wallander-Bücher von Henning Mankell das Genre für mich entdeckt hatte, bin ich irgendwie nie wieder dahin zurückgekehrt. Bei den wenigen Versuchen, doch noch mal einen Krimi zu lesen, hat mich dann oft die wenig literarische Sprache gestört oder auch die Tatsache, dass jede Zeile so bedeutungsschwanger erscheint, dass man kaum noch etwas auf sich wirken lassen kann, ohne dabei Hintergedanken zu haben. Natürlich habe ich auch nicht groß nach literarischen Krimis gesucht, es gibt hier mit Sicherheit viel zu entdecken.

An dieser Stelle füllt Die Frau mit den vier Armen von Jakob Nolte für mich dann die Lücke. Zugegeben: Der Autor gehört zu meinen absoluten Favoriten, kann für mich also eigentlich alles machen, und ich werde es schon gut finden. Aber der neue Roman stößt mit Nolte-typischer Sprache und Weirdness ins Genre und zieht es lustvoll auf links.

Das Besondere ist dabei für mich, dass der Roman allen Regeln des Krimis gehorcht und nicht versucht, hier von außen etwas zu dekonstruieren. Vielmehr lässt er das große Figurenensemble in den Dialogen immer wieder aus ihrer engen Funktion für den Plot ausbrechen und frei von der Leber weg sprechen. Dadurch wird ein Raum eröffnet, der streng funktional plottenden Krimis sonst eher fremd und sowohl witzig als auch spannend ist.

Damit erzählt der Roman auch eine Geschichte der fragilen Männlichkeit, die mit großer Leichtigkeit schwere moralische Fragen aufwirft und so perfekt in unsere Zeit passt. Das unterscheidet Die Frau mit den vier Armen auch vom Vorgänger Kurzes Buch über Tobias, das mit seinem sehr komplexen literarischen Ansatz die in ihm liegenden Fragen nach Identität und Anpassung an gesellschaftliche Normen eher verstellte, als sie zur Diskussion anzubieten.

Die Frau mit den vier Armen von Jakob Nolte ist ein lustvolles Spiel mit dem Krimi, das Konventionen und Stereotype des Genres unterläuft und das kleine Kunststück schafft, sowohl witzig zu sein als auch literarisch Spaß zu machen. Das ist äußerst selten und einfach begeisternd.

Jakob Nolte: Die Frau mit den vier Armen | Suhrkamp | 235 Seiten | 20 Euro | Erschienen im Mai 2024

Kategorie Blog, Rezensionen
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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