[wortmeldungen 2024] Förderpreis-Shortlist: Kaija Knauer, Thea Mantwill, Liv Thastum

Hier folgen die nächsten drei Nominierten der Shortlist des WORTMELDUNGEN Ulrike Crespo Förderpreises für kritische Kurztexte 2024: Kaija Knauer, Thea Mantwill und Liv Thastum.

Wortmeldungen Förderpreis

Beim WORTMELDUNGEN Förderpreis werden wieder neue Stimmen zu relevanten gesellschaftlichen Themen gesucht. Zehn Autor*innen sind mit ihren Texten über die Strahlkraft von Abschieden auf unsere Gegenwart und Vergangenheit für die Shortlist nominiert. In drei Beiträgen stellen wir sie euch vor, bevor im November dann die drei Preisträger*innen gekürt werden. Wie immer könnt ihr alle Texte auf der WORTMELDUNGEN-Homepage nachlesen – wir verlinken sie aber auch im Folgenden nochmal.


Kaija Knauer: Dioramen im Werden

Kaija Knauer thematisiert in ihrem Text »Dioramen im Werden« das Gefühl der Solastalgie. Ein Gefühl, für das erst kürzlich überhaupt ein Name gefunden wurde, da der Abschied von der uns vertrauten Welt mit der Klimakrise bevorsteht und die Trauer um die bisherige benannt werden musste.

Der Text verbindet die Solastalgie mit einem literarischen Diorama, der Beschreibung des Sichtbaren von einem bestimmten Punkt aus. Dieser Punkt ist ein ausgetrockneter Krötenteich. Sein Name erinnert an das Laichen der Tiere, das hier schon lange nicht mehr stattfinden kann. Sichtbar werden von dort aus Villen, Gärten, Luxusautos. Damit zieht der Text sein Grundgefühl in die Spannung zwischen dem konservativen »Weiter so!« der älteren Generationen und der Verzweiflung in der jungen in Anbetracht des kommenden Verfalls.

Wir haben Kaija Knauer ein paar Fragen zum Text gestellt:

Kaija Knauer
© privat

Was bedeutet das von Frank Witzel ausgerufene Thema zum Wortmeldungen Förderpreis 2024 für dich?

Ich mag den Gedanken, dass sich Zeit ausbreitet wie ein Duft in einem Raum (aus Duft der Zeit, Byung Chul Han) – so wird Zeit ein komplexes Gefäss, in der alles enthalten sein kann, Konkretes, Ahnungen, Geister – Abschiede von nicht-gelebten Parallelrealitäten, antizipierte Abschiede, Verlustängste. Sie schieben sich ineinander, wenn die Zeit sich weitet wie ein Duft. Darin sind die Abschiede gleichzeitig auch Ansammlungen oder Schichtungen. 

Was würdest du dir wünschen, das die Leser*innen aus deinem Text mitnehmen?

Ich glaube, der Text kann Fragilität und Flüchtigkeit spürbar machen, von Dingen, uns selbst, Landschaften, Lebensentwürfen.

Welches Foto/Bild/Meme/YouTube-Video passt zu deinem Text und warum?

Was bleibt einem neben dem elendigen Abschiednehmen übrig, ausser to fall in love again and again, also falling in love als Lebenspraxis, darum – Everything is romantic (Charli xcx).

Vielen Dank für deine Antworten.

Kaija Knauer (*1996) studierte Medizin, Theaterwissenschaft und Schreiben in Basel und in Hildesheim. Sie schreibt Dramatik und Prosa, ihr Dramatext »Zünzle« wurde durch die Wiener Wortstätten gefördert. Neben dem Schreiben wirkt sie als Dramaturgin in unterschiedlichen Projekten mit.


Thea Mantwill: KLIRREN – Ein Song

Ein Klirren vor dem Fenster mag tröstlicher sein als die Ungewissheit der Geräusche, die es übertönt. »Klirren – Ein Song« von Thea Mantwill steigert sich aus einem ruhigen, fast plapperigen Tönen in ein lautes Klirren, ein Schrillen aller Alarmglocken, um dann wieder langsam und ruhig zu werden und leise zu verstummen.

Der Text wird erzählt von einer Frau, die als Jugendliche häuslicher Gewalt ausgesetzt war und dadurch sich selbst verloren hat. Die Jugend ist schlagartig vorbei, die Unbeschwertheit weggewischt, die Möglichkeit eines Lebens ohne Angst – nicht nur vor Männern, aber vor allem vor diesen – dahin. »Klirren – Ein Song« erschreckt durch die Ruhe, mit der die Erzählerin in ihre eigenen Abgründe führt – oder vielmehr diejenigen ihres früheren Ichs, das das Trauma von ihr gespalten hat und mit dem auch die vierte Therapie sie wohl nicht wieder vereinen wird.

Wir haben Thea Mantwill ein paar Fragen zum Text gestellt:

Thea Mantwill
© Jana Buch

Was bedeutet das von Frank Witzel ausgerufene Thema zum Wortmeldungen Förderpreis 2024 für dich?

Derzeit beobachte ich an meinem Lieblingstoddler, wie mit jeder neuen Errungenschaft mindestens ein Verlust einhergeht. Es ist ein Fortschreiten (gelegentlich Panisch-hinterherrennen) und Sichverabschieden in einem fort. Später im Leben werden die Amplituden zwischen Fortkommen und Verlieren geringer, sie ziehen sich länger und verschwinden beinahe zwischen Alltag und den Versuchen, dem Verlust zu entgehen, durch Stehenbleiben, Verweigern, Hungern – werden zu »nicht vollzogenen Abschieden«. Doch es ist wichtig, das Loslassen im Kleinen zu lernen, um Platz zu machen für die wirklich großen Abschiede, denn die kommen.

Was würdest du dir wünschen, das die Leser*innen aus deinem Text mitnehmen?

Wie immer wollte ich den Leser:innen eine Falle stellen, etwas Schönes zeigen, gewieft und lustig sein, damit sie mir bis zum Thema folgen, so unangenehm es auch sein mag, und wie immer bin ich dabei in meine eigene Falle gefallen und weiß nicht, ob mir gelungen ist, was ich wollte. Aber ich hoffe, dass die Leser:innen sich in Teilen darin wiederfinden können, dass das Profane daran, wie die »großen Dinge« wie Verlust, Angst und Gewalt sich durch unser Leben ziehen, deutlich wird und dass gerade diese Profanität sehr schmerzhaft sein kann. Und ich hoffe, dass mein younger self sich darin wiederfinden würde, das hoffe ich immer beim Schreiben.

Welches Foto/Bild/Meme/YouTube-Video passt zu deinem Text und warum?

Ich denke, der Kurzfilm I’m hungry, I’m cold (1984) von Chantal Akermann passt zum Text wie der andere Teil des zweiteiligen Formenpuzzles von erwähntem Toddler, denn es ist alles darin, was in KLIRREN als fehlend, gescheitert, verpasst gezeichnet wird: Die Nacht, das Singen, die Küsse (und Bisse), das Essen – die gemeinsame Flucht in eine fremde Stadt, drei Monate vor dem 18. Geburtstag. Wie meistens im Leben geht es schief, aber es geht auch gut, weil sie nicht alleine sind. Sie sind zu zweit und das Gegenteil von einsam. I’m scared, sagt die eine zur anderen, aber wer keine Angst hat, kann halt auch nicht mutig sein.

Vielen Dank für deine Antworten.

Thea Mantwill (*1990) ist Künstlerin und Autorin. Sie arbeitet in Bildern, installativen Szenographien und Büchern. 2023 zeigte sie in ihrer ersten Ausstellung »13 Morgen« mit Jana Buch im KIT Düsseldorf 13 Kapitel eines fiktiven Buches. Sie erhielt das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium für Literatur 2023 der Stadt Köln.


Liv Thastum: Abzulegen, das Blau

»Abzulegen, das Blau« von Liv Thastum führt uns mitten hinein in die Sprachverwirrung. Nicht direkt in die babylonische, sondern in eine viel näherliegende, nämlich die postmigrantische Sprachverwirrung des 20. und 21. Jahrhunderts. Flucht und Migration schreiben Geschichten, die die Sprache oft vergessen. Doch in ihr liegt Heimat und Herkunft, die beim Ankommen in einem neuen Land oft auf der Strecke bleiben.

So hier das Polnisch des Vaters, das aus Angst vor den – gelinde gesagt – fremdenfeindlichen Deutschen im neuen Umfeld verloren geht. In der Trauer über den Verlust der Vatersprache nimmt der Text jedoch nur seinen Anfang und spinnt sich mutig weiter, spinnt Fäden zwischen Deutsch, Polnisch und Dänisch, den Sprachen der Erzählerin, und zwischen Texten der sprachkritischen Tradition seit Derrida und dessen lyrischer Rezeption durch Paul Celan. So setzt der Text der kurzsichtigen Angst vor Veränderung die Kreativität einer Sprache entgegen, die nie aufhört, sich weiterzuentwickeln – oder einfacher: zu leben.

Wir haben Liv Thastum ein paar Fragen zum Text gestellt:

Liv Thastum
© Felix Ernst

Was bedeutet das von Frank Witzel ausgerufene Thema zum Wortmeldungen Förderpreis 2024 für dich?

Zunächst interessierte mich das Zitat von Frank Witzel. Da ging es um nicht vollzogene Abschiede. Das klingt nach etwas, das noch nicht abgeschlossen ist, nicht verarbeitet. Ein Prozess, eine Bewegung, die von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in die Zukunft und rückläufig verläuft. Da spannt sich ein Gitternetz: erzwungenen Abschiede, Abschiebungen, das Dahinscheiden von Mensch, von Umwelt, wie die Welt vor unseren Fenstern verschwindet, die Welt, die schon lange nicht mehr da ist. Der Text berührt all diese Abschiede und kehrt dabei immer wieder zu meiner Großmutter zurück, die ihr Polnisch abgelegt hat, um sich in Deutschland anzupassen.

Was würdest du dir wünschen, das die Leser*innen aus deinem Text mitnehmen?

Mitzunehmen: ein einzelnes Wort, ein Klang, ein Bild, was auch immer. Abzulegen: die Angst vor dem Nicht-Verstehen, vor Wörtern, die anders klingen als das Deutsch, von dem wir denken, dass es schon immer da war.

Welches Foto/Bild/Meme/YouTube-Video passt zu deinem Text und warum?

Saharastaub in den Alpen
Quelle: https://www.merkur.de/bayern/saharastaub-bayern-trifft-wetter-maechtige-staubwolke-kommt-wann-und-wo-der-93040291.html

Das Bild zeigt den von Saharastaub gefärbten Himmeln über Deutschland am Ostersonntag 2024. Das Ereignis hat sich eingeprägt und in den Text eingeschrieben.

Vielen Dank für deine Antworten.

Liv Thastum (*1997) studiert Literarisches Schreiben in Hildesheim. Sie schreibt Lyrik, szenische Texte und Essays auf Deutsch, Dänisch und zwischen den Sprachen. Nominiert für den 32. open mike 2024 des Haus für Poesie. Veröffentlichungen u.a. in Ostragehege, Jahrbuch der Lyrik 24/25.


WORTMELDUNGEN – Der Literaturpreis für kritische Kurztexte wird jährlich von der Crespo Foundation ausgelobt. Er ist mit 35.000 Euro dotiert und wird für herausragende literarische Kurztexte verliehen, die sich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen. Der mit 15.000 Euro dotierte gleichnamige Förderpreis schließt an den Literaturpreis an und soll junge Autor*innen motivieren, in Auseinandersetzung mit dem Thema des Gewinner*innentextes eine eigene literarische Position zu formulieren.


Disclaimer: Dieser Blogbeitrag ist Teil einer bezahlten Kooperation mit der Crespo Foundation.

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Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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