Rasha Khayats Roman Ich komme nicht zurück ist ein unaufgeregtes, tiefsinniges und kurzweiliges Buch über Einsamkeit, Freundschaft und die Zerbrechlichkeit menschlicher Bindungen, das ungewohnte aber interessante Perspektiven einnimmt.
Was ist ein Leben wert, wenn niemand sich mit dir erinnert? Wenn niemand sich mit dir an deinen Schulweg erinnert, an deine erste Liebe, an die Menschen, die dich gemacht haben, erinnert. Was ist ein Leben wert, wenn du die Einzige bist, die sich über Fotos beugt und denkt – damals. (S. 32)
Rasha Khayats Roman erzählt von Hanna, die in ihre Heimatstadt im Ruhrgebiet zurückkehrt, nachdem ihre Großeltern, bei denen sie aufgewachsen ist, verstorben sind. Es ist Winter, es ist Pandemie und Hanna ist ziemlich einsam so allein in dem alten Haus ihrer Großeltern. Auch zu ihrer damals besten Freundin Zeyna hat sie keinen Kontakt mehr. Doch Hanna kann die Vergangenheit nicht so richtig hinter sich lassen und irgendwo neu beginnen. Stattdessen versucht sie, wieder Kontakt zu Zeyna aufzunehmen, die Hannas Kontaktversuche jedoch entschieden abweist. Was zum Ende dieser Freundschaft geführt hat, erfahren wir in Rückblenden in die Kindheit und Jugend der beiden Mädchen.
Die ruhige und manchmal distanzierte Erzählweise dieses Romans transportiert sehr gut das Gefühl der Einsamkeit, unter dem Hanna als Alleinlebende während der Pandemie leidet. Für mich eine spannende Perspektive auf eine Zeit, die viele Menschen ganz unterschiedlich erlebt haben. Hanna wäre eigentlich auch ohne Pandemie eine einsame Person, doch im Alltag mit seinen Herausforderungen und Ablenkungen hat sie das gut ausgeblendet. Am fesselndsten ist natürlich die Frage, was zwischen Hanna und Zeyna passiert ist, die jahrelang beste Freundinnen waren und deren Familien in dieser Zeit sogar eng zusammengewachsen sind. Diese Neugierde trägt durch das Buch, in dem ansonsten aufgrund der Pandemie nicht viel passiert. Doch auch die manchmal poetische Sprache und das Nachdenken über Freundschaft haben mir an diesem Buch sehr gefallen.
Man neigt dazu, Menschen zu etwas zu machen, was sie nicht sind. Oder nur ein bisschen sind. Oder nur manchmal sind. Man sieht das eine und übersieht das andere. Man sieht, was man braucht, was einen verbindet. Selten das, was einen trennt. Vielleicht hat es dieses »wir«, dieses »uns« für dich gar nicht gegeben. Vielleicht war ich immer eine andere für dich als du für mich. War irgendwas echt? (S. 121)
Dass nicht viel passiert, ist meiner Meinung nach keine Schwäche des Buches, sondern eher eine Stärke. Etwas mehr Handlung gibt es in den Rückblenden in die 1980er bis frühen 2000er Jahre. Hier spielt das Thema Rassismus eine größere Rolle. Denn zu Hannas engen Freund:innen gehört nicht nur Zeyna, die mit ihrem Vater vor dem Krieg aus dem Libanon nach Deutschland geflüchtet ist, sondern auch der aus einer türkischen Familie stammende Cem. Spätestens seit 9/11 ändert sich die Beziehungsdynamik zwischen den Dreien merklich, da Hanna immer wieder vorgeworfen wird, keine Ahnung zu haben und vom zunehmenden Rassismus nicht betroffen zu sein. Sie wird zur Außenseiterin – auch das ist eine interessante und eher ungewöhnliche Perspektive, die Ich komme nicht zurück zu einer rundum spannenden Lektüre macht.
Rasha Khayat: Ich komme nicht zurück | Dumont | 175 Seiten | 24 Euro | Erschienen im August 2024
Rasha Khayat bei der globaleº 2024: Gemeinsame Lesung und Gespräch mit Leyla Bektaş mit ihrem Roman Wie meine Familie das Sprechen lernte am Sonntag, den 3. November 2024 um 15 Uhr im Theater Bremen. Der Eintritt kostet 10, ermäßigt 7 Euro, Tickets gibt es hier.