Beim diesjährigen Bremer globaleº-Festival hat die Autorin Simone Falk ihren Debütroman Und dann essen wir Żurek und fallen vom Himmel vorgestellt. Im Gespräch mit Festivalgründerin Libuše Černa berichtet sie von ihren Einblicken in den deutschen und auch polnischen Buchmarkt, die sie nicht nur als Autorin, sondern auch als Übersetzerin kennt. In meinem Interview wollte ich von ihr wissen, wie sie Schriftstellerin geworden ist und welchen Stellenwert Polen in ihrem Leben und ihrem Werk hat.
Liebe Simone, du hast bereits mehrere Romane übersetzt, einen eigenen veröffentlicht und schreibst an weiteren Texten, aber wie bist du überhaupt zum Schreiben gekommen?
Ich wusste schon im Alter von sechs Jahren, dass ich später Schriftstellerin sein will. Meine erste Geschichte war »Das Weihnachtsfest der Tiere«: eineinhalb Seiten, mit verschiedenfarbigen Buntstiften auf liniertes Papier gekritzelt. Das habe ich meinen Eltern dann unter dem Weihnachtsbaum vorgelesen. Mein erstes Buch habe ich mit zwölf fertig geschrieben. Das liegt immer noch irgendwo in einer Schublade. Später dann bin ich viel um das Schreiben »herumgekreist«, habe es zuerst mit dem Brotjob Journalistin versucht, habe für Lokalzeitungen und Magazine gearbeitet. Dann habe ich als Lektorin und Korrektorin gearbeitet, daraufhin als literarische Übersetzerin (Englisch-Deutsch, Polnisch-Deutsch), später auch als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache – also alles Arbeiten mit der deutschen Sprache, aus allen erdenklichen Perspektiven. Das literarische Schreiben war aber all die Jahre auch immer da, ich habe etliche Romane und Romananfänge in meinen (heute virtuellen) Schubladen. Żurek ist aber der erste Roman, den ich mit Ernsthaftigkeit und Professionalität bis ans Ende gebracht habe.
Żurek erzählt von fünf Figuren, die mit sehr unterschiedlichen Motivationen nach Warschau fahren. Wieviel Autobiographisches steckt in diesem Roman?
Diese Frage wird mir oft gestellt. Einige Leserinnen und Leser wollen mich in der Figur der Christina Krewniak erkennen, die nach Warschau geht, um nach ihren Wurzeln zu suchen. Ich würde sagen, jede:r meiner Protagonist:innen hat etwas von mir. Sogar mein schwierigster und kontroversester Protagonist, Peter Poniatowski, der sich als polnischer Migrant von Deutschland abwendet und stark rassistische Züge hat, hat sicherlich kleine Teile von mir: seine pedantische Liebe zum Detail, seine Eigenart, Dingen Menschlichkeit zuzusprechen (die er im Gegensatz zu mir aber den Menschen verwehrt).
Ich habe den Roman geschrieben, als ich selbst in Warschau lebte, und da sind auch einige persönliche Erfahrungen und Beobachtungen eingeflossen. Aber vieles ist fiktionalisiert, es gibt Verankerungen in meiner Realität, aber dann hebe ich mit meiner literarischen Perspektive ab und fliege los.
Wie denkst du als deutsche Autorin, die über Polen schreibt, über nachbarschaftliche Klischees von »den Polen« und »den Deutschen«? Und inwiefern setzt du dich in deinen Texten mit solchen Klischees auseinander?
Żurek ist voll von Klischees. Ich habe versucht, die typischen polnisch-deutschen Klischees abzubilden, sie aber auch immer zu brechen, oder so stark zu überspitzen, dass sie automatisch unglaubwürdig werden. Der Pole Marek Marnowacz, Handwerker, Alkoholiker, Gelegenheitsdieb, ist gleichzeitig ein großer Literaturliebhaber und betrachtet die Welt im Alkoholrausch mithilfe literarischer Bilder und Zitate. Der deutsche Geschäftsmann Bernd Breitscheid ist so strikt durchorganisiert, dass er ein Jahr im Voraus plant, wo er mit seiner Freundin essen geht. Und dann werfe ich ihn völlig aus der Bahn, weil er mit einer Urinprobe im Aktenkoffer in einem schaukelnden Bus durch Warschau fahren muss!
Ich glaube, dass Klischees nicht nur negativ sind: Immerhin sind sie eine Art der Wahrnehmung des Anderen. Eine pauschale, vereinfachende – aber immerhin eine Wahrnehmung. Ein Klischee ist ein Beginn, ein Beginn der Begegnung. Und dann realisiere ich plötzlich, dass die Person mir gegenüber ganz anders ist als gedacht. Dass sie das Klischee eben nicht erfüllt. Vielleicht ziehe ich dann daraus den Schluss, diese eine Person sei die Ausnahme des Klischees. Fair enough. Aber idealerweise gibt es weitere Begegnungen mit anderen Personen, die das Klischee immer weiter bröckeln lassen. Dann verstehe ich irgendwann, dass meine ursprüngliche Überzeugung ein Klischee war – und ich kann es abhaken und loslassen. Das muss nicht unbedingt ein reflektierter Prozess sein, das kann auch unbewusst passieren. Ganz abgesehen davon, dass solche Begegnungen auch immer dazu beitragen, dass ich plötzlich die Klischees des Anderen über mich selbst kennenlerne.
Deshalb sind persönliche interkulturelle Erfahrungen so wichtig. Auch wenn am Anfang das Klischee steht und es vorerst das Einzige ist, das gesehen wird. Ich habe Vertrauen, dass Klischees in den allermeisten Fällen automatisch bröckeln, wenn man in einen aufrichtigen, neugierigen Kontakt mit dem Gegenüber tritt. Und das Vertrauen habe ich auch in meine Leserinnen und Leser.
Wird auch dein nächster Roman von Polen handeln?
Mein zweiter Roman ist bereits beendet und er hat ein ganz anderes Thema. Darin geht es um eine junge Frau, die sich wünscht, alt zu sein. Sie ist fasziniert von allem Alten: von Falten, grauen Haaren, Gebrechlichkeit, Zittrigkeit. Es ist ein psychologischer Roman, der unseren Umgang mit körperlicher und psychischer Gesundheit in Frage stellt.
Mein dritter Roman wird aber wieder von Polen handeln: Darin geht es um eine junge Übersetzerin, die mit ihrer 90-jährigen Freundin in einen Kurort nach Polen reist, um dort einerseits auf den Spuren der Kriegsvergangenheit ihrer Freundin, andererseits ihres polnischen Lieblingsautors zu wandeln. Durch Zufall entdecken die beiden Frauen, dass in der Biographie eines lokalen Zwangsarbeiters die Kindheitsjahre der heute alten Frau beschrieben werden und sich auf erstaunliche Weise mit dem Leben des Autors kreuzen.
Dieser Roman ist übrigens stark autobiographisch geprägt.
Ich danke Simone Falk für dieses anregende Gespräch, freue mich schon sehr auf ihre kommenden Romane und vielleicht einmal ein Wiedersehen im Rahmen des globaleº-Festivals!