[globale° 2024] Simone Falk: Und dann essen wir Żurek und fallen vom Himmel

Mit einem scharfen Auge für’s Detail, nicht ohne Humor und in einer mal lyrischen, mal eher dramatischen Erzählweise skizziert Simone Falk in ihrem Debütroman Und dann essen wir Żurek und fallen vom Himmel fünf deutsch-polnische Geschichten.

Simone Falk: Und dann essen wir Żurek und fallen vom Himmel, Cover

Kurz darauf überquerte der Zug die Oder. Dieser Fluss, der doch geographisch das Eine vom Anderen trennte, der respektierte, dass die einen Dinge den Einen gehörten und die anderen Dinge den Anderen, der dafür sorgte, dass Pommern und Schlesien auf der einen Seite Pommern und Schlesien hießen und auf der anderen Pomorze und Śląsk – würde sich irgendetwas ändern, wenn man heute, in den grenzenlosen Zeiten von EU und Schengen, sein bisheriges Leben hinter diesem gräulichen, wilden Nass zurückließ und ein neues begann?

Im internationalen Berlin–Warschau-Express treffen die fünf Protagonist:innen in Simone Falks Debütroman aufeinander, deren Geschichten im weiteren Verlauf im Fokus stehen. Sie haben eigentlich gar nichts miteinander zu tun, ihre Wege kreuzen sich aber doch immer wieder. Zwei von ihnen sind Polen, die enttäuscht vom Leben in Deutschland zurückkehren in ihre Heimat. Die drei anderen sind Deutsche, die es aus verschiedensten Gründen nach Warschau verschlägt. Diese Grenze zwischen Deutschem und Polnischem wird aber gar nicht so festgezogen und mit Klischees überhäuft, wie man vielleicht denken könnte. 

Die polnische Hauptstadt Warschau ist Dreh- und Angelpunkt des Romans. Für mich persönlich war das toll, da ich Warschau ziemlich gut kenne und mich in den verschiedenen Ecken, an denen das Buch spielt, an eigene Erlebnisse erinnert habe. Hier werden die typischen polnischen Milchbars besucht und Naleśniki und Żurek verspeist, der Kulturpalast und die nach 1945 neu aufgebaute Altstadt bestaunt, sogar das hippe Restaurant Aioli kommt vor, in das ich vor zehn Jahren stets alle meine Warschau-Besucher geschleppt habe. Die Figuren gehen auf eine Demo gegen das Abtreibungsgesetz, in einen Saunaclub am Rand der Stadt oder sind auch mal im eher gefährlichen Stadtbezirk Praga auf der anderen Weichselseite unterwegs. Ich habe den Warschau-Flair in diesem Buch unheimlich gern gemocht. 

Die Erzählweise mit »Wir-Erzähler« in Und dann essen wir Żurek und fallen vom Himmel ist etwas ungewöhnlich, passt aber zu Falks allgemein nicht sehr gewöhnlichem Roman. Der Text ist auch immer wieder mit literarischen Referenzen und Zitaten gespickt. Einige davon, wie Rilkes Panther oder Paul Celans Todesfuge, habe ich sofort erkannt. Anderes, vor allem die Texte polnischer Autoren wie Witold Gombrowicz, kenne ich nicht und bin nun definitiv neugierig geworden.

Besonders ist Falks Roman übrigens auch in der Hinsicht, dass hier ganz viel polnische Sprache einfließt. Die polnischen Satzteile werden immer direkt übersetzt, es gibt also keinen Verständnismangel. Der Roman gewinnt aber deutlich an Authentizität und wenn man ein paar winzige Polnisch-Kenntnisse hat, kann man diese direkt mal wieder abrufen. Ich wünsche mir in Zukunft noch viel mehr solche Grenzen überschreitenden oder Grenzen verwischenden, polyphonen und europäischen Romane wie es der von Simone Falk geworden ist. 

Simone Falk: Und dann essen wir Żurek und fallen vom Himmel | Klak Verlag | 240 Seiten | 19,90 Euro | Erschienen im Oktober 2023

Simone Falk bei der globaleº 2024: Lesung und Gespräch am Montag, den 28. Oktober 2024 um 13 Uhr im EuropaPunktBremen. Der Eintritt ist frei. 

Kategorie Blog, globale°

Schon als Kind habe ich mich zu den brotlosen Künsten, insbesondere der Literatur, hingezogen gefühlt. Heute beschäftige ich mich auch im wissenschaftlichen Bereich mit Kunst und Literatur und blogge im Internet über alles, was mich so anspricht. Auf Poesierausch darf ich euch in diesem Jahr die Bücher des globale° Festivals für grenzüberschreitende Literatur in Bremen vorstellen.

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