Kurz angerissen // Friederike Otto, Anders Levermann, Omri Boehm

Kurz angerissen, diesmal mit Klimaungerechtigkeit von Friederike Otto, Die Faltung der Welt von Anders Levermann und Radikaler Universalismus von Omri Boehm.

Friederike Otto: Klimaungerechtigkeit. Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat

Viele Bücher über den Klimawandel bzw. die Klimakatastrophe, die uns ohne große Änderungen bevorsteht, befassen sich mit den Dynamiken und Effekten des kommenden Klimas. Sie wollen ein Bewusstsein schaffen für das, was gerade passiert, und das, was dann folgt – wenn wir als Menschheit unseren Lebensstil nicht ändern. Friederike Otto hat dies in ihrem Buch Wütendes Wetter bereits getan, im Nachfolger Klimaungerechtigkeit geht es dagegen nur noch um die Folgen des Klimawandels und deren Implikationen, insbesondere für marginalisierte Gruppen.

Abseits aller Physik und Statistik, die hier nicht unterschlagen werden, aber eben auch nicht im Mittelpunkt stehen, konzentriert sich Klimaungerechtigkeit auf die moralische Dimension des Klimawandels. Otto verortet den Grund dafür, dass wir auch heute noch steigende Emissionen haben – über 50 Jahre nach der Feststellung, dass CO2-Emissionen einen großen negativen Einfluss auf das Klima haben werden – im kolonialfossilen Narrativ. Der Begriff besagt, dass der Globale Norden im Zusammenspiel mit der Fossilindustrie eine Erzählung der Alternativlosigkeit fossiler Brennstoffe geschmiedet hat, die den Wechsel zu nachhaltigen Alternativen über Jahrzehnte verhinderte – und immer noch verhindert.

Das Buch ist dann nach den Effekten strukturiert – Hitze, Dürre, Feuer, Flut –, die an lokalen Extremwetter-Ereignissen veranschaulicht werden. Dabei steht der Aspekt der Gerechtigkeit im Fokus, sodass immer genau hervortritt, welche Machtstrukturen bestimmte Entwicklungen befördert haben und welche Gruppen die Leidtragenden sind und in Zukunft noch mehr sein werden. Es ist kein Wunder, dass schon jetzt der Globale Süden überproportional vom Klimawandel betroffen ist, und dort dann auch wieder gerade die Ärmsten am härtesten getroffen werden. Die Struktur des Buchs bedingt eine gewisse Redundanz, umso mehr verfestigt sich dabei aber das Bild einer Welt, in der nicht nur der Wohlstand sehr ungleich verteilt ist. Gut lesbar, gut recherchiert, große Empfehlung! [s]

Friederike Otto: Klimaungerechtigkeit. Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat | Ullstein | 336 Seiten | 22,99 Euro | Erschienen im Dezember 2023


Anders Levermann: Die Faltung der Welt. Wie die Wissenschaft helfen kann, dem Wachstumsdilemma und der Klimakrise zu entkommen

Und nochmal Klimakrise: Anders Levermann schaut als Physiker auf die Klimakrise und erklärt diese in Die Faltung der Welt auch nach ebendiesen Gesetzen. Das macht er im Haupttext auch sehr anschaulich und niedrigschwellig, während in den Fußnoten auch Nerds auf ihre Kosten kommen. Doch ist die Erklärung hier nur ein erster Schritt, denn ihm geht es um nichts weniger als um einen Vorschlag zur Lösung der Krise, die zwischen allen Fronten festgefahren scheint.

Im Mittelpunkt steht dabei das ökonomische Wachstum im Kapitalismus, das nur eine Richtung kennt: mehr, mehr, mehr. Mehr Wachstum bedeutet bisher aber praktisch immer auch mehr Emissionen, daher auch mehr Klimaerwärmung, mehr Extremwetter und so weiter. Schrumpfen oder Degrowth scheint dagegen keine Option zu sein, es treibt Ökonom*innen wie Politiker*innen schon bei der bloßen Andeutung in die Flucht. Levermann führt nun anhand des physikalischen Prinzips der Faltung eine Alternative ein. Es kommt aus der Chaostheorie und beschreibt die Erkundung eines begrenzten Raums durch einen Vektor, der sich vor dem Erreichen der Grenzen immer wieder anders wenden wird und so die Potenziale des Raums so unvorhersehbar wie komplett ausschöpft.

In unsere konkrete Situation übersetzt plädiert er also dafür, dass nur das Setzen klarer und unumstößlicher Grenzen die Wirtschaft dazu bringen wird, ihr Wachstum zu falten und damit in eine andere Richtung als bisher weiterzuwachsen. Diese Grenze ist vor allem das Ende aller CO2-Emissionen in näherer Zukunft, einen geschlossenen Recycling-Kreislauf sowie die Begrenzung der Ungleichheit – und das alles auf globalem Maßstab, denn lokale oder regionale Lösungen können nur kleine Anfänge sein, aber nicht zum Ziel führen.

Levermann macht mit Die Faltung der Welt gute Punkte und hat auch nicht den Anspruch, exakt zu wissen, wie unsere Welt noch zu retten ist. Doch erscheinen die von ihm vorgeschlagenen Lösungen in Anbetracht der geopolitischen Lage derart unerreichbar, dass es schwer vorzustellen ist, wann auch nur annähernd so große globale Lösungen gefunden werden können wie nötig. Ein Reality Check, der leider nur wenig Mut macht. [s]

Anders Levermann: Die Faltung der Welt. Wie die Wissenschaft helfen kann, dem Wachstumsdilemma und der Klimakrise zu entkommen | Ullstein | 272 Seiten | 23,99 Euro | erschienen im Oktober 2023


Omri Boehm: Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität

Die Auseinandersetzung zwischen Identitätspolitik/Postkolonialismus/Antiimperialismus und Universalismus ist nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 in Politik und Philosophie ganz oben auf der Agenda. Der in den USA lehrende Deutsch-Israeli Omri Boehm wagt in seinem Buch Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität den Versuch, den etwas unter die Räder gekommenen Universalismus aus seinen Urdokumenten neu auferstehen zu lassen und in diesem neuen und eigentlich echten Gewand gegen seine Gegner*innen zu verteidigen.

Entsprechend Boehms eigener Biographie fällt auch die Auswahl der Texte aus: Die US-amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die Geschichte von Isaaks Bindung aus der Tora und Kants Universalismus-Schrift Was ist Aufklärung? dienen ihm als Grundlage, aus denen er den Universalismus in seiner Reinform herausdestilliert. Seine Gegenfolie sind dabei weniger klassische postkolonialistische Texte als vielmehr die klassischen US-Liberalen von John Rawls bis Mark Lilla, die die Nation und die Verfassung als gewissermaßen heiligen Gesetzestext in den Mittelpunkt der Moral stellen.

Genau gegen diese Art von menschengemachter Moralvorstellung wendet sich Boehm, indem er als Prinzip des Universalismus auf eine außermenschliche, transzendente Moral verweist. Einfachstes Beispiel: Der KZ-Aufseher, der »nur Befehle befolgt hat« und sich deshalb später keiner Schuld bewusst war, macht sich eben doch an einem transzendenten Prinzip des Menschen schuldig, selbst wenn dieses zu seiner Zeit in seiner Situation juristisch nicht galt.

Konsequenterweise fordert Boehm dann am Ende auch keine Zweistaaten-Lösung für Israel und Palästina, sondern einen gemeinsamen Staat, in dem alle Menschen gemeinsam, gleichberechtigt und demokratisch regiert zusammen leben – was für ihn derzeit nicht der Fall ist. Radikaler Universalismus ist ein philologischer Ritt in drei Essays, der gut zu lesen ist und gut argumentiert. Gleichzeitig hätte ich mir ein wenig mehr aktuelle Bezüge gewünscht, um die teilweise doch recht harte Kost verdaulicher zu machen. Da kann man aber zum Beispiel auch auf After Woke von Jens Balzer zurückgreifen. [s]

Omri Boehm: Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität | Aus dem Englischen von Michael Adrian | Propyläen | 176 Seiten | 22 Euro | erschienen im September 2022


Disclaimer: Ich arbeite bei den Ullstein Buchverlagen, zu denen auch Propyläen gehört. Die Texte geben ausschließlich meine persönliche Meinung wider.

Kategorie Blog, Kurz angerissen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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