Kurz angerissen // Édouard Louis, James Hawes, Maja Göpel

Kurz angerissen, diesmal mit Das Ende von Eddy von Édouard Louis, Die kürzeste Geschichte Deutschlands von James Hawes und Wir können auch anders von Maja Göpel.

Édouard Louis: Das Ende von Eddy

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Mittlerweile muss man über Édouard Louis ja nicht mehr allzu viele Worte verlieren. Seine Werke sind allesamt Bestseller und werden in alle möglichen Sprachen übersetzt. Auch ich bin Fan seiner schonungslosen Abrechnungen mit dem Klassismus, dem Hass auf Andersartige im Allgemeinen und Schwule im Speziellen. Das Ende von Eddy ist sein erster Roman, der vor allem in Frankreich ein Ereignis war. Er handelt von Eddy, seiner Kindheit in einem nordfranzösischen Dorf, der Armut seiner Familie und dem Hass, dem er tagtäglich ausgesetzt ist. Aber eben auch von den Menschen, die ihn umgeben.

Liest man den Roman heute, nach all den weiteren Romanen von Édouard Louis, ist zunächst einmal alles bekannt. Denn die Romane behandeln ja immer den gleichen Stoff, setzen nur jeweils einen anderen Fokus. Den gibt es hier noch nicht so sehr, die Kapitel wirken etwas zusammengeworfen, die einzelnen Episoden bilden ein Tableau von Eddys Jugend. Auch sprachlich ist Das Ende von Eddy noch sehr schroff und fahrig. Doch die Energie, die dem Roman innewohnt, ist dadurch auch noch greifbarer als in den späteren Romanen. Ein beeindruckender Rundumschlag. [s]

Édouard Louis: Das Ende von Eddy | S. Fischer | Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel | 208 Seiten | 12 Euro | Erschienen im Mai 2016

James Hawes: Die kürzeste Geschichte Deutschlands

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Geschichte ist eine Disziplin, die mir mit den vielen abstrakten Jahreszahlen, Namen und Orten meist eher fremd bleibt. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass gute Kenntnisse in Geschichte unerlässlich sind, um sich in der Gegenwart politisch zu orientieren. Ein Dilemma, selbst wenn nun wirklich nicht jedes genaue Datum oder eine große Universalgeschichte im Kopf immer abrufbar sein muss.

Da sind die »kürzesten Geschichten«, die es von verschiedenen Ländern gibt, natürlich immer gern gesehen. Ich habe mir Die kürzeste Geschichte Deutschlands mal vorgenommen, denn die Geschichte des eigenen Lands sollte man natürlich besonders präsent haben, denke ich. Das gut 300 Seiten starke Buch des Briten James Hawes liest sich sehr gut und ist wirklich auf die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen vom antiken Kampf Caesars gegen die Germanen bis zu fast heutigen Entwicklungen beschränkt.

Bis ins 19. Jahrhundert konnte mich der Band sehr gut mitnehmen. Doch spätestens ab dem immer stärker werdenden Konflikt zwischen Preußen und den restlichen deutschen Kleinstaaten und Bünden wird die Darstellung extrem einseitig. Die Darstellung der protestantischen Preußen als höchst militarisierte Kolonisatoren Ostelbiens, wie die heute deutschen Gebiete zwischen Elbe und Oder hier immerzu genannt werden, ist extrem darauf zugespitzt, die Differenz zwischen preußischem Ost- und katholischem Westdeutschland hervorzuheben, die heute in die AfD-Wahlergebnisse im Osten mündet. Auch wenn die Darstellung hier und da nicht von der Hand zu weisen ist, driftet sie doch sehr in Richtung einer Streitschrift ab, die von einer reinen Geschichtsschreibung leider zu weit entfernt ist.

Dazu kommt dann auch noch der sehr ausgeprägte Antikommunismus des Autors, der in der Charakterisierung von Karl Marx als »gutem Journalisten mit schlechten Ideen« seinen vielleicht deutlichsten Ausdruck findet und eine faire Betrachtung der DDR abseits von russischem Vasallenstaat, Parteidiktatur und Denunziantentum unmöglich macht. Also eine Empfehlung für die frühe Geschichte Deutschlands, aber definitiv keine Empfehlung für so ziemlich alles, was nach 1800 passiert ist. [s]

James Hawes: Die kürzeste Geschichte Deutschlands | Aus dem Englischen von Stephan Pauli | Ullstein | 336 Seiten | 13,99 Euro | erschienen im Juli 2019

Maja Göpel: Wir können auch anders

Mittlerweile ist es doch recht klar: Die Klimakrise ist real, das streitet im Prinzip auch niemand mehr ab, wenn man von einigen verlorenen Männlein absieht. Und doch bleibt ein konsequentes Handeln aus. Es wird immer mehr geflogen, die Verbrennung von fossilen Kraftstoffen steigt weiter an, das Wachstumsparadigma ist ungebrochen der Leitfaden der globalen Politik. Was hält uns auf praktisch allen Ebenen im großen Maßstab davon ab, der Krise entsprechend zu handeln?

Maja Göpel schreibt in Wir können auch anders aus der Sicht der Transformationsforscherin über den Umgang mit der Klimakrise als eine unter vielen Krisen, die wir als Bündel zu bewältigen haben. Für sie ist der wichtigste Schritt hin zu einer erfolgreichen Gestaltung einer Zukunft die Öffnung und Erweiterung des Horizonts. Dies fängt bei den Individuen an, die sich als handelnde Personen mit Wirkmacht, kurz »Wirks«, begreifen müssen, um ihre eigene Macht überhaupt sehen und fühlen zu können. In einem politischen Rahmen geht es dann weiter mit dem Blick auf das große Ganze, also weg vom Output und hin zum Outcome, weg vom Herumdoktern an Symptomen und hin zu einer ganzheitlichen Betrachtung und vor allem zu einer positiven Vision für die Zukunft aller Menschen auf der Erde.

Wir können auch anders arbeitet also daran, die Grundlage von Narrativen zu erarbeiten und darzulegen, um dann gleich auch an einer neuen Erzählung zu arbeiten. Ich mag den optimistischen Blick sehr, der sich jedoch an einer immer düster werdenden Realität messen muss. Das schmälert in keiner Weise die fundierten Ausführungen des Buchs, macht es aber manchmal schwer, mit aller Kraft mitzugehen. Es sind aber gerade Versuche wie diese, die es mehr braucht, um ins Handeln zu kommen – egal auf welcher Ebene. [s]

Maja Göpel mit Marcus Jauer: Wir können auch anders. Aufbruch in die Welt von morgen | Ullstein | 368 Seiten | 19,99 Euro | erschienen im September 2022


Disclaimer: Ich arbeite bei den Ullstein Buchverlagen. Die Texte geben ausschließlich meine persönliche Meinung wieder.

Kategorie Blog, Kurz angerissen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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