Sex sells: Im Debütroman Toyboy von Jonas Theresia finden Sexarbeit und familiäre Abgründe auf unerwartet unprätentiöse und sogar unterhaltende Art zusammen, ohne zu beschönigen – eine kleine Meisterleistung.

Ich muss es zugeben: Als ich den Pressetext zu Toyboy von Jonas Theresia gelesen habe, war ich mir erstmal nicht sicher, ob ich den Debütroman bestellen soll. Er klang krass auf eine Weise, bei der ich mir nicht sicher war, ob ich sie mir zumuten wollte. Sexarbeit in allen möglichen Formen, dazu eine dysfunktionale Familie – das kann schon ganz schön heftig werden. Am Ende habe ich mich aber doch dazu durchgerungen, denn eigentlich stehe ich ja auf Literatur, die nicht einfach gefallen will, sondern den Leser*innen auch etwas zumutet. Und ich kann es schon vorwegnehmen: Es hat sich gelohnt!
Toyboy erzählt von Levin und seinem jüngeren Bruder Gregor. Levin ist der Ich-Erzähler und steht im Mittelpunkt. Er ist gerade zurück aus L.A., wo er vergeblich versucht hat, eine Modelkarriere zu starten. So richtig weiß er nicht, woran es lag. Vielleicht sieht er zu glatt aus, vielleicht war er nicht fleißig genug, vielleicht hatte er auch einfach nur Pech. Jedenfalls ist er nun zurück in seinem früheren Leben, mit seinen alten Freund*innen und seinem Bruder Gregor. Zurück auch im Elternhaus, in dem er nun mit Gregor lebt. Seine Mutter ist chronisch abwesend, der Vater lange weg.
Und natürlich muss Levin Geld verdienen. Auf einen 9-to-5-Job kann er sich überhaupt nicht einstellen, alles in ihm widerstrebt der Vorstellung von einem gleichförmigen, deprimierenden Leben in einem unpersönlichen Cubicle im Großraumbüro. Also nutzt er sein gutes Aussehen und driftet durch den weitläufigen Bereich der Sexarbeit. Er versucht es als Escort, als Pornodarsteller, als Webcam-Model oder auch als Vorlage für einen Charakter in einem Sex-Computerspiel. Alle möglichen Arten der Entwürdigung begegnen ihm dabei, und er gibt wirklich alles, sie, so schnell es geht, wieder zu verdrängen.
Das Einzige, was ihn aber irgendwie nicht loslässt, ist sein gestörtes Verhältnis zu seinem Bruder Gregor. Der sitzt nur in seinem Zimmer, spielt Videospiele und zieht sich Porno-Influencer rein. Als er von einer solchen Influencerin ausgenommen wird und sich eines Tages Levin damit anvertraut, sieht dieser seine Chance gekommen, das Verhältnis der beiden endlich wieder auf gesunde Beine zu stellen und zumindest als großer Bruder kein Versager zu sein.
Toyboy lässt Levin sehr frei von der Leber weg erzählen, ohne dabei aber zu weit in große Gedankengänge abzudriften. Das wäre auch gar nicht seine Art, er ergreift eher schnell die Flucht, wenn Dinge zu kompliziert werden. So erleben wir einen überaus instabilen Protagonisten und begleiten ihn bei seinen Versuchen, sein Leben auf die Reihe zu kriegen, was irgendwie ein bisschen an den Fänger im Roggen von J. D. Salinger erinnert.
Die Episoden schwanken zwischen hartem Tobak und unterhaltsamen kleinen Geschichten, was beim Lesen erstmal eine gute Balance herstellt und Spaß macht. Dabei hat der Roman aber immer einen doppelten Boden, denn natürlich sind die ständigen Entwürdigungen, die Levin ertragen muss, am Ende kein Stück lustig. Er verkauft sich zu immer schlechteren Bedingungen und begegnet dabei immer mehr schrägen Gestalten, die es ihm gleichtun. Ein Abgrund, der für die meisten Menschen komplett unsichtbar bleibt, deren Produkte aber reißenden Absatz finden.
Toyboy ist dabei aber nie ein belehrendes Plädoyer für ethischen Pornokonsum, sondern lässt dies ganz beiläufig mitschwingen. Auch dass Gregor mehr oder weniger ein Incel ist, also ein junger Mann, der es nicht schafft, echte Kontakte zu Frauen aufzubauen und deshalb immer tiefer in die Misogynie rutscht, ist immer hintergründig da, ohne aber den Leser*innen je zu hart auf die Nase gebunden zu werden. Am Ende stehen aber doch sehr klar zwei Brüder im Mittelpunkt des Romans, die aus einer dysfunktionalen Familie kommen und beide ihre eigenen Auswege aus einer Situation suchen, die ihnen keine Sicherheit geben kann.
Toyboy von Jonas Theresia ist ein starkes Debüt, das den Balanceakt zwischen Grauen und unterhaltsamen Erzählen mit Bravour leistet, ohne dabei zu voyeuristisch oder flach zu werden. Ein Roman, der die Menschen in der Porno- und Erotikindustrie in den Blick rückt und die Abgründe ihrer Arbeit aufzeigt – sowohl vor der Kamera als auch bei jungen Männern vor dem Bildschirm.
Jonas Theresia: Toyboy | Kein & Aber | 224 Seiten | 23 Euro | Erschienen im Februar 2025
Informative und sehr treffende Rezension von Toyboy von Jonas Theresia. Theresia zeigt die Protagonisten mit all ihren Schwächen, ohne sie zu verurteilen … Im Gegenteil, man leidet als Leser mit und gleichzeitig fehlt es nicht an Skurrilität und Humor. Ein wirklich starkes Debut, das Lust auf mehr macht!