Kammerspiel auf dem Hochhausdach: Schwindel von Hengameh Yaghoobifarah präsentiert vier queere Lebensentwürfe und führt vor Augen, dass intersektionaler Feminismus beständige Arbeit ist.

»Sitzen vier Lesben auf einem Hochhausdach …« So oder ähnlich könnte bestimmt irgendein dummer Witz beginnen, doch gleichzeitig beschreibt die Floskel auch das Setting von Hengameh Yaghoobifarahs neuem Roman Schwindel. Ava datet drei Personen gleichzeitig, kein Wunder, dass sie irgendwann ins Straucheln kommt. An einem Freitagabend ist es dann soweit, aus einer Laune des Schicksals heraus stehen alle drei in ihrer Wohnung, was bei Ava den Fluchtreflex auslöst und für die vier auf dem Dach der Siedlung endet – ohne Schlüssel oder Handy, um Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen.
So sind die vier gezwungen, sich miteinander auseinanderzusetzen und das komplexe Beziehungsgeflecht, das Ava zwischen ihnen hergestellt hat, zu entwirren. Kein einfaches Unterfangen, denn natürlich bringen alle vier ihre ganz eigenen Geschichten, Erfahrungen und Verletzungen mit aufs Dach. In Wellen kocht immer wieder die Stimmung hoch, um sich abzukühlen, nur um durch eine kleine Bemerkung wieder an die Decke zu gehen – ein klassisches Kammerspiel hoch über den Dächern der Stadt.
Nur dass es hier eben ganz dezidiert um queeres Begehren geht, das die vier zusammenschweißt und gleichzeitig aber auch trennt. Denn ihre Lebensentwürfe sind so weit auseinander, dass auch hier, in einem ja eigentlich von außen als safe space betrachteten queeren Raum, Stereotype und Missgunst schnell zu Streit führen, der nur schwer wieder einzufangen ist. So führt der Roman eindrucksvoll vor, wie sehr sich Ansichten und Lebenswege queerer Personen unterscheiden und es selbst innerhalb der Szene manchmal schwer machen, eine gemeinsame Sprache zu finden. Intersektionaler Feminismus ist eben kein Selbstläufer, sondern tägliche Arbeit in allen Arten von Beziehungen.
Mich konnte Schwindel dabei nicht komplett abholen, vermutlich weil ich einfach recht weit weg von der eigentlichen Zielgruppe bin. Ich konnte einfach nicht genug Interesse für die vier Figuren aufbringen, um ihren detailliert geschilderten Lebenswegen in alle Schwenker zu begleiten, oder auch die ausgiebigen Streitgespräche auf dem Dach in aller Länge zu verfolgen. Hier und da waren natürlich auch mal lustige Szenen dabei, keine Frage, und mehr über queeres Begehren gelernt habe ich auch, aber das reicht für mich noch nicht für einen rundum gelungenen Roman. Da hat mich der handlungsgetriebene Vorgänger Ministerium der Träume deutlich mehr abgeholt.
Schwindel von Hengameh Yaghoobifarah erzählt queeres Begehren aus vier Perspektiven, die sich auf einem Hochhausdach heftig ineinander verhaken. Alle Beziehungen sind Arbeit – hier wird klar, wie intensiv drei Beziehungen auf einmal werden können.
Hengameh Yaghoobifarah: Schwindel | Blumenbar | 240 Seiten | 23 Euro | Erschienen im September 2024