Hengameh Yaghoobifarah: Ministerium der Träume

Nachdem Hengameh Yaghoobifarah im letzten Jahr aus unterschiedlichen Gründen mehrfach in der bundesweiten Presse auftauchte, kommt nun ihr Debütroman Ministerium der Träume (Blumenbar). Der überrascht gleich mehrfach und überzeugt.

Hengameh Yaghoobifarah: Ministerium der Träume

Eine Polizeikolumne und die angedrohte Strafverfolgung durch den »Heimatminister«, Werbung für das KaDeWe, ein drogenaffiner Podcast: Man kann es nicht anders sagen, die Sensationspresse (und nicht mehr nur die) liebt Hengameh Yaghoobifarah dafür, nie das zu tun, was die meisten Menschen gemeinhin als nächstes erwarten würden – und dabei auch immer provokant zu sein. Ich habe die größtenteils lächerlich aufgebauschten Skandälchen nicht wirklich verfolgt und bin bekanntlich in den Sozialen Medien auch wenig unterwegs. Daher war die Ankündigung des Debütromans Ministerium der Träume für mich schon eine ziemliche Überraschung.

Viel größer aber war die Überraschung, als ich den Roman gelesen habe. Denn nach den besagten Skandälchen, die ja immer von einer Lust an der Provokation der Mehrheitsgesellschaft getrieben werden, habe ich natürlich gleich an ein gewagtes Experiment gedacht. Eine weitere Provokation, ein Schlag ins Gesicht vielleicht. Ich will nicht so weit gehen zu sagen, dass Ministerium der Träume das Gegenteil davon ist. Aber der Roman siedelt sich doch klar im plotgetriebenen Unterhaltungsbereich an, was für mich die nächste Überraschung war.

Die nächste kann ich dann auch gleich vorwegnehmen: Obwohl das nicht mein liebstes Genre ist, hat mir Ministerium der Träume sehr gut gefallen und mich richtig gekriegt. Der Roman hat ohne Zweifel seine Schwächen, aber er unterhält auf hohem, sehr eigenständigem Niveau und entwickelt niedrigschwellig einen Plot abseits des Mainstreams. Gerade diese niedrigschwellige, nicht zu provokative Herangehensweise hat mich beeindruckt und leuchtet mir auch sehr ein. Denn genau so lässt sich Verständnis, Akzeptanz und Dialog in einer Gesellschaft wiederherstellen, die sich in vielen Teilen voneinander entfernt hat.

Aber jetzt mal zum Inhalt: Ministerium der Träume entwickelt eine zunehmend spannende Geschichte um den Tod von Nushin, den ihre Schwester Nasrin aufklären will. Die Polizei ist keine Hilfe, und dass Nasrin die Vormundschaft für Parvin, Nushins pubertierende Tochter, übernimmt, macht ihr als Türsteherin ohne große Strukturen im Leben den Alltag auch nicht gerade leichter. Nasrin durchforstet ihre Vergangenheit nach Momenten der Unschärfe, nach Lücken, die Hinweise auf Nushins rätselhaften Tod geben könnten. Gleichzeitig versucht sie die Gegenwart zusammenzuhalten und auch dort dem Geheimnis näher zu kommen.

In den ersten Tagen nach Nushins Tod kommt es mir seltsam vor, dass Parvin einfach weiter zur Schule geht, als wäre nie etwas vorgefallen. Dabei war auch ich damals am nächsten Morgen pünktlich zum Unterricht erschienen. »Klausurphase«, sagt Parvin. Ihre Antworten sind einsilbig, manchmal stecken sie auch einfach nur irgendwo in ihren Augen fest, die sich verschließen, sobald ich genauer hinschaue. Meine Nichte, eine Blackbox.

Die Handlung erinnert ein wenig an einen Krimi und arbeitet mit zahlreichen Cliffhangern, die die beiden Zeitebenen – Gegenwart plus auf die Gegenwart zulaufende Rückblenden – temporeich miteinander verzahnen. So weit, so gut, aber auch so gewöhnlich. Genau hier liegt für mich auch die Schwäche des Romans. Denn der Plot ist mir oft doch zu konstruiert, gelegentlich hanebüchen und stellenweise zu pathetisch dargestellt. Das Ende kommt auch ziemlich abrupt – das alles wirkt ein wenig, als hätte Ministerium der Träume in dieser Hinsicht noch etwas Zeit brauchen können.

Was den Roman für mich aber auszeichnet und zu einem wirklich gelungenen Buch macht, sind die Themen, die er verhandelt, und wie er dies tut. Das sind mit den Komplexen Migration, Rassismus und systematischer Diskriminierung von Minderheiten, Klassismus, Sexismus, LGBTQI-Feindlichkeit und Vergewaltigung, dem Verhältnis alternativer Lebensentwürfe und Subkulturen zum Mainstream sowie Erwachsenwerden, Familie, Trauer sowie Freundschaften und Liebe beileibe nicht wenige. Aber Ministerium der Träume schafft es, die Themen zu verweben und sie aus der Perspektive Nasrins heraus verständlich zu machen. Ihr ganz eigener Stil, die Geschichte zu erzählen, macht dies dazu auch noch sehr unterhaltsam, und der Einsatz gegenderter Sprache ist hier für mich bis auf wenige Ausnahmen so konsequent wie subtil gelöst.

Es stecken zahlreiche Überraschungen in Hengameh Yaghoobifarahs Debütroman Ministerium der Träume. Keine davon ist enttäuschend. Der Roman legt den Finger in die Wunde der Minderheiten in Deutschland und zeigt auf höchst unterhaltsame Weise deren Diskriminierung auf. Dass der Plot dabei nicht perfekt ist, lässt sich leicht verschmerzen.

Hengameh Yaghoobifarah

Ministerium der Träume

Blumenbar

384 Seiten | 22 Euro

Erschienen am 15.2.2021

Kategorie Blog, Rezensionen
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

2 Kommentare

  1. Andrea Zech

    Habe das Buch an einem Tag durchgelesen. Es hat mich wirklich mitgenommen. Leider kann ich mit dem Ende so gar nichts anfangen. Um ehrlich zu sein, ich verstehe es nicht. Zu knapp. Was passiert auf der letzten Seite? Bedeuten die letzten Sätze, daß sie den Täter erschießt und im Knast landet, oder …?

    • Ja, offene Enden, sie sind alles und nichts. Mir gefallen richtige Enden auch besser – selbst wenn sie mir inhaltlich vielleicht nicht gefallen, kann ich mich wenigstens dazu verhalten. So ist da einfach ein nichts, das alles sein kann.

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