Moore und Menschen: Zuschauen und Winken von Mercedes Lauenstein handelt vom Leben eines etwas anderen Paars – und wirft damit einen frischen Blick von außen auf die Gegenwart.

Moore haben die Menschen schon immer fasziniert. In früheren Tagen der Menschheit waren sie sagenumwobene Orte, denen man sich eher fernhielt, da schon ein falscher Schritt hier über Leben und Tod entscheiden kann. Später waren sie begehrt für ihre tonhaltige Erde, dann komplett trockengelegt, um ihren lebensfeindlichen Charakter loszuwerden und sie ins gleichförmige Ackerland einzugliedern. Heute werden sie als Kohlenstoffgruben wieder interessant, auch wenn die ökonomische Frage dabei weiterhin über allem schwingt.
Auch die namenlose Erzählerin in Zuschauen und Winken von Mercedes Lauenstein ist von Mooren fasziniert. Ihre Dissertation soll eine Abhandlung über die Kulturgeschichte des Moors werden. Doch ihre Doktormutter meldet sich schon seit Längerem nicht mehr bei ihr. Was das wohl bedeutet? Hat sie sich von ihr abgewandt? Ist der Professorin ihre ruhige, zurückhaltende Art zu viel geworden? Hat sie durchschaut, dass hier eine Hochstaplerin am Werk ist?
Der Freund der Erzählerin leidet an einer mysteriösen Krankheit. Kein*e Ärzt*in weiß ihm zu helfen, die permanente Selbstbeobachtung und -analyse treibt ihn fast in den Wahnsinn. Und seine Partnerin gleich mit, weiß sie doch oft einfach nicht, wie sie in seiner Verzweiflung mit ihm umgehen soll. Und doch schaffen die beiden es die meiste Zeit über, sich gegenseitig zu stützen. Denn sie sind sich doch sehr ähnlich in ihrer schüchternen Zurückgezogenheit, ihrem Außenseitertum in einer Gesellschaft voller undurchsichtiger Regeln, Normen und Rituale, die niemand einem erklären könnte oder wollte – die alle um sie herum aber irgendwie genau zu kennen scheinen.
Zuschauen und Winken reiht hingetupfte Miniaturen aneinander, die das Leben der Erzählerin verfolgen. Zusammen ergeben sie ein Bild der Gegenwart aus einer ganz eigenen Perspektive, von einem Rand, der sich den Konventionen der Mehrheit zu entziehen versucht. Das Paar praktiziert gewissermaßen einen stillen Austritt aus der Gesellschaft, indem sie sich immer mehr von ihr entfernen. Sie wollen verblassen und verschwinden, um sich von den versteckten Zwängen der noch so unscheinbarsten Beziehungen freizumachen.
Denn sowohl Krankheit als auch fehlende Klarheit im beruflichen Werdegang gelten als unnormal, als schwach und geradezu unanständig. Immer wieder werden ihnen unverschämte Gespräche über ihr Dasein aufgezwungen, denen sie sich einfach nicht mehr stellen wollen. In den leisen Prosaminiaturen des Romans wird dieser Rückzug zu einem poetischen, der die beiden noch enger aneinanderrückt – aber auch keine Lösungen bietet.
Zuschauen und Winken ist getragen von einem warmen und tröstlichen Grundgefühl, dass jedes Abweichen von der Norm in Ordnung ist. Manchmal waren mir die Alltagsbeobachtungen allerdings schon etwas zu trivial, was das ohnehin zarte Band, das die Miniaturen zusammenhält, für mich nicht immer tragen konnte. Bei einem so kurzen Büchlein macht das aber aufs Ganze gesehen nicht viel aus.
Zuschauen und Winken von Mercedes Lauenstein ist ein ungewöhnlicher Liebesroman, der eine schön schräge Perspektive von außen auf unsere Gesellschaft wirft. So werden Konventionen und Verhaltensweisen bloßgestellt, die auch heute immer noch das Unnormale, das Unkonventionelle und Abweichende sanktionieren und als anders markieren.
Mercedes Lauenstein: Zuschauen und Winken | Blumenbar | 192 Seiten | 22 Euro | Erschienen im Februar 2025