Flurin Jecker: Lanz

Der junge Schweizer Autor Flurin Jecker legt mit Lanz (Nagel & Kimche) sein Romandebüt vor, das gleichzeitig seine Abschlussarbeit am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel ist. Da liegt die Frage nahe: Haben wir es hier mit der vielbeschworenen Schreibschulenprosa zu tun?

Flurin Jecker: Lanz

Lanz ist der 14-jährige Protagonist im gleichnamigen Roman. Wir bekommen seinen Blog zu lesen, den er in einer Projektwoche an seiner Schule von Montag bis Freitag schreibt. Fünf größere Kapitel – für jeden Tag eins, darin immer noch mehrere einzelne Eintragungen, die aber nicht weiter nach Zeiten gegliedert sind – strukturieren den schmalen Roman von gerade einmal gut 120 Seiten.

Wie in einem Tagebuch wendet sich Lanz in seinen Blogposts immer wieder an uns Leser*innen und beschreibt seine Erlebnisse. Alles dreht sich um seinen Klassenlehrer, den er nicht mag, ein Mädchen, das er mag, von dem er aber nicht weiß, ob es ihn mag, ein paar Freunde, und natürlich seine Eltern. Die sind getrennt, und an den Folgen dieser Trennung hat Lanz zu leiden. Beide sind berufstätig und sehr mit ihren eigenen Leben beschäftigt, weshalb er sich vernachlässigt und oft allein fühlt. Da wundert es kaum, dass er hier und da auch mal einen Joint raucht, um ein wenig der Welt um ihn herum zu entfliehen und natürlich auch um in der Coolness-Skala weit oben zu bleiben. Und am Ende nimmt er Reißaus und fährt zu Verwandten, um die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Mutter endlich mal wieder zu bekommen.

Mit einem Wort: Pubertät. Flurin Jecker hat sich zur Beschreibung der kleinen Geschichte tief in die Gedanken und vor allem die Sprache eines Teenagers hineinversetzt und schafft es, ein authentisches Zeugnis des pubertierenden Lanz zu erdichten. Diese Authentizität ist die größte Qualität des Romans. Mit allen Nachteilen: Der Satzbau ist sehr eintönig, das Vokabular klein, die häufigen Kraftausdrücke eher putzig, und das alles in sich ist ziemlich redundant. Hinzu kommt, dass Lanz als Schweizer Junge natürlich auch Schweizerisch schreibt. Was Schweizer Leser*innen kaum auffallen dürfte, hat mir den Zugang zum Roman über einen Großteil der wenigen Seiten versperrt – als ich drin war und nicht mehr über jede zweite Formulierung gestolpert bin, war der Roman vorbei.

Ich lag noch lange wach, gestern. Das geht mir immer so, weil Babs um Viertel ab neun sagt, dass wir jetzt ins Bett müssten, logisch aber nur ich muss, und ich dann noch ewig herumhirne, weil ich bei Mam viel später ins Bett gehe. Und vielleicht denkt ihr jetzt, dass das nicht schaden kann, ein bisschen herumzuliegen und Sachen zu überlegen. Es geht mir aber immer schlechter, je länger ich überlege.

Mein größtes Problem mit Lanz ist jedoch, dass der Roman keine nennenswerte Handlung hat. Es wird absolut nichts Besonderes erzählt, alles lässt sich unter dem einen, so häufig herangezogenen Wort subsumieren: Pubertät. Das muss aber ja noch lange nicht heißen, dass Flurin Jeckers Roman schlecht ist. Es gibt zahlreiche Romane, deren Handlung kaum der Rede wert ist, die jedoch durch ihre Sprache, die Welt, die sie erschaffen, oder auch durch ihre Figurenzeichnung und Beschreibungen glänzen.

All das sehe ich hier nicht. Der Roman ist nett, die Sprache authentisch. Die Figuren und alles weitere sind in der Sprache eines 14-Jährigen gezeichnet, was die Authentizität unterstreicht, die Literarizität aber untergräbt. Zusammen mit der beliebigen Handlung stellt sich mir also die Frage: Wozu das Ganze? Und mir fällt nur eine Antwort ein: Abschlussarbeit. Ob es deshalb Schreibschulenprosa ist, sei mal dahingestellt.

Positiv bleibt festzuhalten, dass Flurin Jecker in Lanz ein wunderbares Gespür für Sprache und Gedankenwelt seines Protagonisten Lanz zeigt und diese im originellen Konzept eines Blogs verpackt. Er erzählt allerdings kaum etwas damit, nutzt die eigentlich gute Anlage des Romans also nicht aus. Damit bleibt er für mich in dem Status einer Demonstration von Fähigkeiten stecken. Der Roman muss sich die Frage gefallen lassen: Was unterscheidet das Buch von dem echten Blog eines 14-Jährigen? Oder besser: Welchen Mehrwert hat das Buch einem echten Blog gegenüber? Mir ist einfach nichts dazu eingefallen.

Flurin Jecker Lanz CoverFlurin Jecker

Lanz

Nagel & Kimche

Erschienen am 20.2.2017

ISBN: 978-3-312-01022-6

Filed under Blog, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

5 Comments

  1. Nimmer Satt

    Ich habe es auch gelesen (dank eurer großzügigen Verschenkung) und bin ganz deiner Meinung. Es war nett, aber der Mehrwert hat sich mir auch nicht erschlossen.
    Zumal ich mich momentan sehr stark mit Wedekinds „Frühlingserwachen“ auseinandersetze, das ähnliche und gleiche Thematiken behandelt nur eben um Welten besser.
    Grüüüßis an euch ♥

    • Danke für die Bestätigung, das tut immer gut! Und Frühlingserwachen sollte ich wohl auch mal lesen..
      Grüüüüüßis zurück!

      • Nimmer Satt

        Unbedingt Stefan!!! Ich denke, es wird dir gefallen. Wobei… sicher bin ich mir nicht. Mich schockt das Stück allerdings immer wieder.

  2. Wenn Teenager bloggen: Lanz von Flurin Jecker (Rezension)

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