Ein Roadtrip durch die Straßen einer Erde, die kaum wiederzuerkennen ist: Annika Scheffel schickt uns in ihrem dritten Roman Hier ist es schön (Suhrkamp) mit den Protagonist*innen Irma und Sam durch dystopische Landstriche und hinter die Kulissen aus den Fugen geratener Medien.
Es ist eine Reality Show, bei der sich Irma und Sam kennenlernen. Sie sind die Finalist*innen, stehen am Ende einer Show, die auf ein für uns größenwahnsinnig wirkendes Ziel zusteuert: Die Sieger*innen sollen zum Mars geschossen werden, um dort eine neue Kolonie für die Menschheit vorzubereiten. In Zeiten von SpaceX und den privaten Mondreisen von Virgin ist das zwar nicht komplett unrealistisch, aber doch eine Dimension des Reality TV, die bisher noch nicht angetastet wurde. Denn es gibt bei allem eine Gewissheit: Die Sieger werden von ihrer Reise nie zurückkehren.
Auch zuvor werden sie schon komplett von der Welt isoliert. Ihr einziger Zugang sind Briefe, die sie von außen erhalten, und die Show, die sie der Außenwelt bei den Ausscheidungswettbewerben in der sogenannten Arena zeigt. Für Irma heißt dies, dass sie mit 16 von ihren Eltern getrennt wird. Die sind natürlich dagegen, für Irma ist die Show allerdings der einzige Weg, ihrem Leben ein Ziel zu geben. Und natürlich auch, den ganz gewöhnlichen Problemen der Pubertät zu entkommen, die sie überfordern. Sams Vergangenheit dagegen ist dunkel und klärt sich erst im Laufe des Romans langsam auf.
Hier ist es schön spielt in einer zeitlich nicht genau verorteten Zukunft, in der das Klima der Erde kollabiert ist, und die Welt, wie wir sie kennen, nicht mehr existiert. Die Sonne ist vor Jahren unter einer dichten Schicht von Wolken verschwunden, die fossilen Treibstoffquellen sind versiegt. Ob Kriege oder ähnliches stattfanden, ist unklar, aber es scheint nicht unwahrscheinlich. Jedenfalls ist die Erde verödet, ohne Sonnenlicht hat das Wachstum der Pflanzen sich stetig verlangsamt, das feucht-warme, dunkle Klima hat auch die Menschen nicht verschont. Ewiges Grau, Stromengpässe, Nahrungsknappheit, all dies hat die staatlichen Systeme zusammenbrechen lassen, jede*r ist sich mittlerweile selbst der*die nächste, große Teile des Wissens unserer Tage sind verloren gegangen. Kein Wunder also, dass jeder Anlass für Hoffnung willkommen angenommen wird.
Die Handlung von Hier ist es schön setzt ein, kurz bevor die eigentlich Reise zum Mars losgehen soll. Eigentlich ist alles bereit, doch Sam beschließt, aufgrund eines eigenartigen Briefs auszubrechen. Irma folgt ihm. Sie begeben sich auf einen Roadtrip, der ebenso eine Reise durch die verwahrloste Erde und kaputte Zivilisation wie in die Vergangenheit der beiden ist. Es wird immer abwechselnd erzählt: ein Kapitel Gegenwartshandlung, eins Vergangenheit. Das erzeugt Spannung, die von einigen Cliffhangern noch unterstützt wird. Dazu sind die Kapitel meist sehr kurz, da ist das »Eins geht noch!«-Phänomen abends vor dem Einschlafen vorprogrammiert.
Auch der Stil ist flüssig, das Buch liest sich wirklich gut. Allerdings auch ein wenig zu gut nach meinem Geschmack. Will heißen, dass vieles eher unterkomplex bleibt, sowohl was die Sprache als auch die Charaktere angeht. Nun ist dies bei Irma und Sam inhaltlich motiviert: Sam ist komplett künstlich sozialisiert worden und Irma vor ihrer Pubertät geflohen, in der Arena wurde dann lediglich Wert auf körperliche Ertüchtigung und praktische Fähigkeiten gelegt. So ist Irma sozial noch auf dem Stand einer vielleicht 18-Jährigen, Sam auf dem eines 10-Jährigen, wobei beide etwa Ende 20 sind. Bei Sam führt dies auch zu vielen Schenkelklopfer-Szenen, da er keine Ahnung vom Leben außerhalb der Arena hat. Ermüdend.
Sams Kopf ist warm geworden, vielleicht hat er Fieber?
»Mir ist warm.«
Tom lacht: »Du bist auch ganz rot. Mach dir nichts draus, Kumpel, Irmchen ist gut darin, einen in Verlegenheit zu bringen.«
Sam hat keine Ahnung, wo die sein soll, die Verlegenheit. Ihn hat Irma da noch nie hingebracht, jedenfalls nicht, dass er es bemerkt hätte.
Das zusammen mit den sehr geradlinigen Handlungssträngen gibt Hier ist es schön den Anstrich eines Jugendbuchs. Allein das düstere, ziemlich realistische Setting sowie doch einige Gewalt stehen dagegen. Aber auch das Setting finde ich unausgereift. Denn wie können alle Menschen die Show verfolgen, wo kommen alle Klatschmagazine her, wenn es kaum Strom, kaum Rohstoffe gibt? Wieso werden Flüsse, Seen und Boden immer trockener, wenn es andauernd regnet? Wieso ist das beinahe gesamte Wissen der Zivilisation verloren gegangen, während das Internet immer noch funktioniert, auch Bücher und Handys noch vorhanden sind, die Kommunikation also eigentlich kaum eingeschränkt ist? Und wie kommt es, dass für die Reality Show scheinbar unendliche Ressourcen zur Verfügung stehen?
Natürlich lässt sich auf alle meine Fragen irgendwie eine Antwort finden, aber dieses Gefühl, dass nicht alles stimmig ist, hat mich beim Lesen nicht ganz losgelassen. Das »Phantastische«, das dem Buch vielleicht gerade in diesem Zusammenhang gern zugesprochen wird, ging mir dabei vollkommen ab. Hier erinnert zwar vieles an Hunger Games, aber Hier ist es schön siedelt sich selbst meiner Meinung nach viel realistischer an und kann nicht zur Fantasy oder Phantastik gezählt werden.
Nichtsdestotrotz habe ich Hier ist es schön gern gelesen, es ist kurzweilig und unterhaltsam und führt uns eine Zukunft unserer Welt vor Augen, die – wenn auch in sich nicht ganz stimmig – nicht unwahrscheinlich ist. Wir steuern auf ein ähnliches Szenario zu, wenn wir nicht bald gegensteuern. Hier erinnere ich nur zu gerne noch einmal an Stephan Rammlers Schubumkehr.
Suhrkamp
389 Seiten | 22,00 Euro
Erschienen am 7.5.2018
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Hab deine Rezension sehr gern gelesen – ganz besonders die kritischen Sätze zum Buch.
Schöne Grüße!
Viel zu spät, aber danke schön! Immer gut zu hören, wenn Kritik geteilt wird. Schöne Grüße zurück!