Pankaj Mishra: From The Ruins of Empire

Islamistischer Extremismus und anti-islamische Hetze sowie daraus entstandene Ängste prägen heute die Medienlandschaft der westlichen Industriestaaten. In seinem Buch From The Ruins of Empire. The Revolt Against the West and the Remaking of Asia (Picador/Penguin) schreibt Pankaj Mishra eine antikolonialistische Geistes- und Kulturgeschichte Asiens, in der nicht nur die Ursprünge der islamistischen Radikalisierung deutlich hervortreten.

Pankaj Mishra: From the Ruins of Empire

Der in Indien geborene und aufgewachsene, heute in London lebende Schriftsteller Pankaj Mishra wurde zuletzt vor allem für seinen Weltbestseller Age of Anger / Das Zeitalter des Zorns (Penguin/S. Fischer) gefeiert. Zugespitzt auf aktuellste Entwicklungen beschreibt er darin weltweite Tendenzen zur Radikalisierung, Bewegungen und Gegenbewegungen, alle vereint im Zorn auf die anderen. Wurzel dieses Zorns ist dabei zumeist das Erleben einer Modernisierung, an deren Fortschritt und Wohlstand der Großteil der Menschen auf der Erde nicht teilhaben.

Im 2012 erschienenen Vorgänger From the Ruins of Empire bearbeitet Mishra im Prinzip die gleichen Wurzeln, ohne sie jedoch auf die aktuellen Krisen dezidiert zuzuspitzen. Auch der Fokus ist nicht so sehr auf das Gegensatzpaar von Ost und West gesetzt, sondern liegt auf Asien unter der Kolonialherrschaft, welches hier von Ägypten und Afghanistan im Westen bis nach Japan und Indonesien im Osten gefasst wird. Dies lässt eine deutlich breitere Beschäftigung mit den Grundlagen des Anti- und dann Postkolonialismus in Asien zu, welche Mishra zu einer Geistes- und Kulturgeschichte des asiatischen Antikolonialismus ausbaut.

Mishra verfolgt in From the Ruins of Empire drei herausragende Persönlichkeiten der Zeit um die Jahrhundertwende, die hier im Westen aber kaum bekannt sein dürften. Mir waren Sie zumindest kein Begriff. Die drei versuchten während der Kolonialzeit die Weichen für eine Emanzipation des Ostens abseits von bloßer Imitation des Westens zu stellen. Um es vorwegzunehmen: Keiner konnte seine Ideen zu Lebzeiten durchsetzen, die kulturelle Assimilation an den Westen erschien den regierenden Eliten unumgänglich, die finanziellen Abhängigkeiten und der daraus resultierende Handlungsdruck schon zu groß, um sich Zeit zu nehmen, eigene kulturelle Strategien der Modernisierung zu entwickeln. Das Ergebnis ist heute immer noch weltweit zu spüren.

Die muslimisch geprägte Region von Ägypten bis Afghanistan, Persien, dem Osmanischen Reich bzw. der Türkei besetzt Jamal al-Din al-Afghani. Als wahrer Kosmopolit bereiste der gebürtige Perser die arabische Region sowie Europa und stieß beinahe überall schnell in Regierungskreise vor. Seine ursprüngliche Idee, den Islam über den Weg einer liberalen Neuinterpretation in die Moderne zu überführen, wurde zumeist aber als rückständig zurückgewiesen. Gerade in Ägypten, wo zur Jahrhundertwende eine von Großbritannien ausgebildete, ägyptische Elite herrschte, war dies keine Option. Zu groß war der Druck des freien Marktes, den die Kolonialmacht im zuvor wirtschaftlich größtenteils selbstversorgten Land aufgebaut hatte. Die beständig wachsenden Schulden ließen eine Rückbesinnung nicht zu. Kein Wunder, dass sich al-Afghani mit der Zeit immer weiter radikalisierte und zum überzeugten Verfechter des Pan-Islamismus wurde, einem solidarischen Verbund der muslimischen Staaten mit deutlich fundamentalistischerer Auslegung des Islam.

In China verfolgt From the Ruins of Empire Liang Qichao. China war zwar nicht direkt unter Kolonialherrschaft. Allerdings wurde dem Land durch die Opiumkriege die Ideologie des Freihandels von Großbritannien aufgezwungen, welche genau wie in Ägypten eine rapide Verschuldung bewirkte und zahllose Chinesen in die Sucht trieb. Auch Qichao zielte auf eine langsame Annäherung von Konfuzianismus und Liberalismus ab, um der kulturellen Kolonialisierung entgegenzuwirken und sein Land in die Moderne zu führen.

Ganz ähnlich Rabindranath Tagore in Indien. Doch genau wie al-Afghani und Qichao rannte er bei den Machthabern vor eine Wand, seine Mahnungen blieben unerhört und so radikalisierte er sich immer weiter. Erst ein blutiger Feldzug der radikal-nationalistischen Japaner kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs konnte große Teile Asiens entscheidend befreien, hinzu kamen Aufstände in anderen Ländern wie Indien und Ägypten. Die Marschroute der Modernisierung wurde aber auch nach der Unabhängigkeit meist nicht entscheidend geändert. Die ersten postkolonialen Staatschefs wie Nehru, Mao Tse Tung oder Nasser versuchten, Entwicklungslücken innerhalb kürzester Zeit zu schließen. Oft auf Kosten vieler Menschenschicksale und -leben.

Den Backlash bekommen wir heute in Form von religiösem Extremismus und verstärkten ethnischen Konflikten zu spüren. Die postkoloniale Welt umfasst den Großteil der Population unserer Erde. Die wenigsten dieser Menschen haben jedoch an dem Wohlstand, der im Westen durch die Kolonialisierung des Ostens erreicht wurde, je partizipiert. Auch nach der Unabhängigkeit und dem wirtschaftlichen Aufschwung vieler asiatischer Länder veränderte sich die Verteilung des Wohlstands nicht entscheidend. Kein Wunder also, dass so viele Menschen die Werte des westlichen Liberalismus, die ihnen gewaltsam übergestülpt wurden und ihre kulturellen Wurzeln abschnitten, nicht akzeptieren können. Stattdessen radikalisierten sich immer mehr Verlierer der Moderne, die sich vor allem in den ländlichen Gebieten und Armutsvierteln der Städte finden.

From the Ruins of Empire war in der englischen Ausgabe alles andere als einfach und schnell für mich zu lesen, aber trotzdem habe ich die Lektüre sehr genossen. Tief in die Geisteswelt des kolonialen Asiens einzutauchen und die Lebenswege der drei Leitfiguren mitzuverfolgen, deren Wege immer wieder von bekannteren Figuren gekreuzt werden, war überaus spannend. Die eminente Aktualität, die den Leser*innen hier aber nicht ständig ins Gesicht gerieben wird, macht es zusätzlich interessant. Ich denke, ich werde bald auch mal ein Auge auf Age of Anger werfen.

 

Pankaj Mishra: From the Ruins of Empire

Pankaj Mishra

From the Ruins of Empire. The Revolt Against the West and the Remaking of Asia *

Picador (Neuauflagen bei Penguin)

368 Seiten | 16,49 Euro

Erschienen 2012

Dt. Übersetzung: Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens*, S. Fischer 2013


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Kategorie Blog, Rezensionen, Sachbuch

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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