Antisemitismus ist ein ebenso hässliches wie kompliziertes Wort. Oliver Polak möchte keine Missverständnisse aufkommen lassen und nennt seine kleine, wütende Streitschrift Gegen Judenhass (Suhrkamp).
Viele Menschen glauben, dass Antisemitismus ebenso wie Rassismus, Homophobie oder Ableismus Probleme sind, die andere Menschen haben. Mehrheitlich Menschen anderer Kulturen, da wir ja das aufgeklärte Abendland sind. Geläutert durch unsere vorbildlich aufgearbeitete Vergangenheit haben wir gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hinter uns gelassen. Allein durch Zuwanderer kommen solche Atavismen wieder nach Deutschland.
Komischerweise hört man diese Argumentation eigentlich immer nur von weißen, männlichen und meist auch gut verdienenden Einwohnern der Industriestaaten (und Erika Steinbach natürlich, die darf man nicht vergessen). Also von Menschen, die praktisch nie Diskriminierung ausgesetzt sind. Oliver Polak nimmt sich in seiner aktuellen Streitschrift ein Herz und schreibt unter dem unmissverständlichen Titel Gegen Judenhass über seine Alltagserfahrungen als Jude in Deutschland.
Dabei kommt auch sein Beruf zum Tragen, und das ist wirklich interessant. Denn Polak ist als Stand-Up-Comedian in den deutschsprachigen Ländern unterwegs und trifft daher täglich verschiedenste Menschen. Von denen würden sich wohl die wenigsten als Antisemiten bezeichnen oder zugeben, dass sie Vorhalte gegenüber Jüdinnen und Juden haben. Und doch rutschen ihnen immer wieder überaus geschmacklose Kommentare heraus:
Frühling 2012. Ich habe einen Aftritt auf einer offenen Bühne in Berlin. Der Geschäftsführer des Ladens kommt in den Backstagebereich, um sich auf einem Zettel, der am Spiegel klebt, die Reihenfolge der Künstler anzuschauen. Bevor er die Garderobe wieder verlässt, schaut er mich an und sagt süffisant: »Wenn du heute wieder nicht lustig bist, landest du im Aschenbecher.«
Doch Polak geht es hier nicht darum, einzelne Menschen bloßzustellen. Auch wenn sich die beschriebenen Person wohl wiedererkennen dürften, er nennt keine Namen. Worum es ihm geht, ist die Leser*innen zum Nachdenken über eventuelle eigene Vorbehalte und deren Gründe anzuregen. Am beeindruckendsten gelingt ihm dies in der ersten Hälfte des schmalen Bändchens, die fast nur aus kurzen Fragen und Antworten besteht. Die durchweg direkte Ansprache der Leser*innen gibt dem Buch ein intimes Moment, das für mich sehr gut funktioniert hat.
Gegen Judenhass ist in seiner Herangehensweise nicht vergleichbar mit Max Czolleks aktueller Streitschrift Desintegriert euch!. Czollek geht es weniger um konkrete antisemitische Vorurteile und mehr um die soziokulturelle Position von Jüdinnen und Juden im heutigen Deutschland. So weit möchte Polak gar nicht gehen. Seine kleine Schrift ist ein Impulsgeber, ein Weckruf für alle, die Antisemitismus für eine Sache der Vergangenheit oder auch ein Problem ausschließlich von anderen Menschen oder Kulturen halten. Zur Debatte über eingewanderten Antisemitismus und Antifeminismus gibt es übrigens hiereine lesenswerte aktuelle Kolumne von Margarete Stokowski.
Oliver Polak lenkt mit Gegen Judenhass den Blick auf ein hässliches Problem, das in der öffentlichen Diskussion gerne als Ding der Vergangenheit betrachtet und nach Möglichkeit ausgeblendet wird. Mit Witz und ohne die so sehr gefürchtete und verteufelte »Moralkeule« berichtet er aus seinem Alltag und regt zum Nachdenken über eigene Vorurteile an.
Oliver Polak
Suhrkamp
127 Seiten | 8 Euro
Erschienen am 2.10.2018
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[…] Israel und das Judentum gerade mein Thema zu sein (zuletzt zu lesen etwa hier, hier, hier oder hier). Dazu soll es noch genauso durchgeknallt sein wie Broken German und tiefgründig dazu. Perfekt. […]