Eine Frau zwischen Kunst, Kind, und gleich zwei Männern. Andrea Grills longlistnominierter Roman Cherubino (Zsolnay) führt uns schmerzhaft nah an seine Protagonistin heran. Ein Kandidat für die Shortlist? #buchpreisbloggen
Iris Schiffer ist Opernsängerin in den besten Jahren. Ende dreißig, nicht mehr ganz jung, aber auch noch nicht alt, kann sie das beste aus beiden Welten abgreifen. Zumindest wenn es um die Kunst geht: Als junge Künstlerin gilt sie als verspielt und innovativ, ihre Stimme aber gleichzeitig als gereift und in Topform. Kein Wunder, dass ihr plötzlich mehrere hochdotierte Engagements zugetragen werden.
Geht es nicht um die Kunst, ist das Alter Fluch und Segen zugleich. Denn sie entdeckt gleich zu Beginn des Romans, dass sie schwanger ist. Mit 39 heutzutage durchaus kein Ding der Unmöglichkeit mehr, aber eben doch mit gewissen Risiken und vielen Unsicherheiten behaftet. Von denen hat sie als selbstständige Künstlerin natürlich eigentlich schon reichlich. Ob das zusammen gut gehen kann?
Immerhin kann sie sich auf ihren festen Freund Sergio stützen. Der ist zwar nicht immer da, weil er selbst Opernsänger ist und auch seine Karriere läuft. Aber immerhin gibt das Iris Gelegenheit, Zeit mit ihrer Daueraffäre zu verbringen, von der Sergio natürlich nichts ahnt. Nun stellt sich die Frage: Von wem ist das Kind? Und wer soll die Rolle des Vaters einnehmen? Das eingespielte Dreieck aus dem dummen, aber immer verfügbaren und liebevollen Sergio, dem begehrenswerten und chronisch unverfügbaren Ludwig und Iris als Strippenzieherin kommt zusehends ins Wanken.
Ich muss es gleich gestehen: Ich habe mich mit meinem Buchpreis-Patenbuch doch sehr schwer getan. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen und am prominentesten wohl das beschriebene Beziehungsdreieck, das den Roman leider komplett bestimmt. So sehr ich den Wunsch der Protagonistin respektiere, nicht allein sein zu wollen und sowohl Sicherheit als auch Aufregung in ihrem Beziehungsleben zu haben, so sehr hat mich der Grad ihrer emotionalen Abhängigkeit von beiden Männern auch irritiert und gestört. Zwar merkt sie in lichten Momenten immer wieder, auf wie dünnem Eis ihre Konstruktion steht, sie ändert aber nur herzlich wenig daran. Ermüdend.
Dann ist da noch die Erzählperspektive. Cherubino wird aus der dritten Person geschildert, die Erzählinstanz ist aber so nah an der Hauptperson und rutscht immer wieder so unvermittelt in die erste Person, deren Gedanken schildernd. Distanz ist der Perspektive komplett fremd, sodass ich mich doch fragen musste, ob es sich für die zwei-drei Male, in denen Gedanken anderer Personen wiedergegeben werden, wirklich diese Perspektive sein musste.
Ich hab gedacht, du würdest dich freuen, fügte sie hinzu und betonte, Sergio sei nach wie vor überzeugt davon, das Kind sei von ihm. (Warum sie Ludwig trösten musste, obwohl er ihr im Grunde wehtat, und was heißt im Grunde, auch oben im Himmel und überall? Er hatte nie gestattet, sich für ihn zu entscheiden. Vom ersten Kuss an einen Riegel vorgeschoben. Bis hierher und nicht weiter. Liebe: ja. Gemeinsames Leben: nein.)
Denn – und das ist der dritte Grund – die Sprache des Romans ist so nah an Iris’ Gedankenwelt, so direkt gekoppelt, dass sie fast wie ein Bewusstseinsstrom wirkt. Die Sätze plappern mal dahin, schweifen ab, werden hektisch, vergallopieren sich, rudern vor und zurück, vom Präsenz ins Präteritum, sind durchaus auch mal spielerisch, wenn sie etwa Lieder umdichten. Das liest sich mal entnervend, bisweilen aber auch überhaupt nicht schlecht. Es macht für mich vor allem da Spaß, wo es um Iris als schwangere Frau im Kunstbetrieb geht.
Denn diesen leider etwas ins Hintertreffen geratenen Teil des Romans finde ich durchaus bemerkenswert. Sobald es mal nicht um die Männer in ihrem Leben, sondern um sie als Künstlerin geht, blüht Cherubino für mich auf. Hier wird auf leichte Art verhandelt und gezeigt, wie viel schwieriger es für darstellende Künstlerinnen wie Iris ist, Kind und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Engagements zu behaupten – trotz Babybauch, trotz Übelkeit, trotz Hormonumstellungen, Heißhunger und viel mehr – und gleichzeitig auch die eigene Gesundheit nicht zu sehr zu vernachlässigen. Auch den Blick in die Opernwelt, in das Leben einer Opernsängerin finde ich durchaus reizvoll und gut dargestellt.
Am Ende ist es aber kein Wunder, dass Cherubino für mich kein Kandidat für die Shortlist ist. Vielleicht bin ich auch einfach der falsche Leser, aber die ständige Auseinandersetzung mit den beiden mehr oder weniger Geliebten war für mich ermüdend und langweilig. Abgesehen vom Beziehungsthema, das den Roman leider komplett dominiert, hat er aber als Geschichte über die Vereinbarkeit von Kind und Beruf selbstständiger Künstlerinnen durchaus seine Berechtigung.
Andrea Grill
Zsolnay
320 Seiten | 23 Euro
Erschienen am 22.7.2019
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