Kleine Schraube, große Wirkung: Agustina Bazterrica dreht in Wie die Schweine (Suhrkamp) an einem kleinen Detail unserer Lebenswirklichkeit und kreiert eine schockierende Dystopie, die tief blicken lässt. Ekel garantiert!
Fleischkonsum. Schon immer ein emotionales Thema, denken wir nur mal an die absurden Reaktionen auf die Veggieday-Diskussion vor ziemlich genau zehn Jahren. Heute, zehn Jahre später, ist zum Gesundheitsaspekt, der damals dominierte, die Klimabilanz hinzugekommen. Und die ist nach wie vor erschreckend. Nun ist emotional besetzten Themen mit Vernunft wenig beizukommen, meist erschrecken eher Lebensmittelskandale als abstrakte Rechnungen. Vielleicht kann ja eine klug gemachte Parabel helfen, um in die Köpfe von mehr Menschen vorzudringen?
Hier setzt Agustina Bazterricas Roman Wie die Schweine an. Die Autorin ist Argentinierin, kommt aus einem Land, das von der Fleischproduktion grundlegend geprägt ist und in dem Fleischkonsum eine traditionell sehr gefestigte Rolle spielt. Sie imaginiert hier eine Welt, in der Tiere plötzlich nicht mehr genießbar sind. Eine Welt ohne Fleischkonsum – könnte man denken, doch es kommt ganz anders.
Wir folgen im Roman dem Schlachthofgeschäftsführer Marcos durch seinen Alltag. Besuche bei Züchtern stehen auf seinem Programm, auch bei Laboren und Lederherstellern wird er vorstellig. Das ganze System rund um die Produktion von Fleisch und dessen Verwertungsketten lernen wir kennen. Natürlich ist das im Prinzip alles bekannt. Doch wie eingangs erwähnt, befinden wir uns hier in einer dystopischen Welt, in der die Tiere durch das rätselhafte Auftreten eines neuartigen Virus nicht mehr genießbar sind. Das Vieh wurde daraufhin komplett ausgerottet, da sie eine tödliche Gefahr für das menschliche Leben darstellten.
Nun kommt die kleine Schraube, an der Bazterrica dreht: Es entsteht nicht etwa eine vegetarische, ja vegane Welt, in der keine Tierprodukte mehr existieren, sondern die Definition des menschlichen Lebens wird kurzerhand geändert. Die Menschen werden geteilt in Kultur und Natur, in Menschen und Stücke, Essende und Gegessene. Eine drastische Änderung, die mir beim Lesen beständig den Ekel in den Rachen steigen ließ.
Dies ist besonders effektiv, da mit Marcos ein ebenso kritischer wie pragmatischer Protagonist durch den Roman führt. Er hat sich dem neuen System ergeben, auch wenn er es zutiefst verabscheut und auch die wahren Beweggründe anzweifelt. Gibt es wirklich einen Virus? Geht es nicht nur um eine systematische Bevölkerungsreduktion? Dies bleibt im Dunkeln. Ins Licht rückt allerdings die Realität des Menschenschlachtens, die bis ins kleinste ekelerregende Detail dargestellt wird. Neben dem industriellen Schlachten der Höfe ist dabei vor allem eine neue Mode pikant: Das private Halten von »Stücken«, wie die Schlachtmenschen heißen, um sie Gliedmaße für Gliedmaße über Monate zu verspeisen.
Er betritt die Küche. Ein ranziger Geruch steigt ihm in die Nase. Er geht weiter zum Kühlraum. Sieht hinein. Hinter der Tür befindet sich ein Stück, dem ein Arm fehlt. […] Ein eigenes Hausstück mitten in der Stadt ist ein Statussymbol. […] Auf einem kleinen Tisch daneben liegt ein Buch. Seine Schwester hat sonst keine Bücher. Der Titel lautet: Tod durch tausend Schnitte: Lingchi für zu Hause. Und es ist mit roten und braunen Flecken übersät. Brechreiz überkommt ihn.
Die kurzen, fast so verstümmelt wirkenden Sätze wie die geschlachteten Menschen geben Wie die Schweine eine klaustrophobische Atmosphäre, eine Schwere, die sich auf die Worte legt. Sie transportieren eine höchst verwirrte Welt, die von einem faschistischen Regime regiert und kontrolliert wird, das jedoch nur wie schwarze Wolken am Horizont zwischen den Zeilen steht. Glücklicherweise ist Marcos kein Moralapostel, nicht der einzig Gute in einer verkommenen Welt. Das hätte den Roman zum Lehrstück werden lassen. Aber er ist gebrochen, am Ende kein Stück besser als der Rest, der sich, wie seine Schwester im Zitat, in der neuen Normalität eingerichtet hat.
Gerade diese neue Normalität ist das Erschreckende an Wie die Schweine. Die Handlung wirkt zu Anfang wie ein reines Vehikel zu dessen Beschreibung, nicht untypisch für Dystopien, was sich mit der Zeit aber bessert. Und das macht den Roman am Ende rund. Diese Welt, in der das Schlachten von Menschen zur Befriedigung des Genusses normal geworden ist, ist genauso krass und ekelerregend wie nah an unserer. Allein der Kniff, dem Schicksal eines ziemlich normalen Schweins in der heutigen industriellen Fleischproduktion ein menschliches Antlitz zu geben, lässt das verbreitete Schulterzucken zu Ekel umschlagen. Bazterrica führt vor, wie pervers es ist, Tiere als Massenprodukte zu halten, und wie erschreckend anpassungsfähig der Mensch doch ist, wenn es um seinen Genuss oder auch sein gesellschaftliches Ansehen geht.
Agustina Bazterrica
Wie die Schweine
Aus dem Spanischen von Matthias Strobel
Suhrkamp Verlag
236 Seiten | 15,95 Euro
Erschienen am 20.1.2020