Fenster überall. In Joshua Groß’ Romandebüt Flexen in Miami (Matthes & Seitz) schauen wir mit dem Protagonisten in eine Realität, die so überlagert von Reflexionen ihrer selbst ist, dass auch eine frische Liebe nicht mehr zum Eigentlichen vordringen kann.
Miami, Florida, scheint sich gerade zu einem Sehnsuchtsort der deutschen Literatur zu entwickeln. Blickten Goethe, Schiller und die anderen Klassiker immer mit affektiertem Stöhnen gen Italien, so geht der Blick heute über den großen Teich. Zuvor schon überaus prominent und unfassbar gut in Miami Punk von Juan S. Guse, nun im Debütroman von Joshua Groß. Dessen kleiner Korbinian-Vorgänger Flauschkontraste hatte noch in Nürnberg gespielt, die Themen waren aber vergleichbar. Was bringt der Sprung in die Vereinigten Staaten?
Zunächst bringt es ein Setting, in dem der Protagonist, wenig überraschend Joshua Groß genannt, ein Alien ist. Ein Fremder, der sich durch das überaus großzügige Stipendium einer rätselhaften Foundation in Miami einrichtet, um drinnen zu bleiben. Er lebt in einem recht luxuriösen Apartment, trinkt Espresso, kifft und klickt auf seinem Handy und anderen Devices rum. Bis sich die Umstände immer weiter verwickeln, es immer enger wird im Apartment. Von außen blicken Drohnen herein, in einem eigenartigen Computerspiel begegnen ihm Klone seiner selbst. Zusätzlich beginnt er eine Affäre, bei der plötzlich auch sein paranoider Lieblingskünstler involviert ist. Die Welt zieht sich zusammen.
Ein Ausweg hatte sich eröffnet, als mir das Stipendium der Rhoxus Foundation angeboten wurde und ich meinen Job kündigen konnte. Kein unbefristeter Vertrag mehr, nur neue Zukunftsangst. Das gleiche Gefühl, das mir während meines Studiums andauernd über die Haut gekrochen war. Die Darkness, mein alter Freund. Aber diesmal war ich nicht mehr bis in die Grundtiefen fatalistisch und mutlos, sondern zuversichtlich nach Miami aufgebrochen, wavy und schwermütig.
»Wavy und schwermütig« ist vielleicht die beste Selbstbeschreibung des Romans. Sie fängt zum einen die Mischung aus Deutsch und Englisch ein, die die Sprache durchzieht. Sie steht für eine junge, per Device globalisierte, konsumorientierte und gleichzeitig konsumkritische Generation Y (oder schon Z?), die hier im prekären Ausschnitt des aufstrebenden Künstlers gezeigt wird. Eines Menschen, der ein neues Land vor der Tür hat, es aber vorzieht, drinnen zu bleiben oder sich mit dem Taxi fortzubewegen. Denn die Welt ist auf Devices noch einfacher für ihn verfügbar, risikoärmer, unverbindlicher.
Der Protagonist Joshua ist schwermütig, erzählt in Flexen in Miami aus der Ich-Perspektive von seiner Zeit, lässt seine Gedanken auch mal fließen. Meist bleibt der Roman aber am Plot, auch wenn der alles andere als gradlinig ist, sondern sich eher gemächlich vorwärts windet. Hinter der wavigen Sprache, dem beständigen Wohnen in Platons Höhle und den verrückten Wendungen des Plots steht im Prinzip eine sehr einfache Konstruktion, eine sehr geradlinige Ich-Erzählung, die ansonsten keine großen Experimente macht. Das schadet aber nicht, im Gegenteil hätten formale Spiele auch schnell zu viel werden können.
Bleibt die Frage, was Flexen eigentlich ist? Ich hatte es erst mit »Dehnen« assoziiert, was dann übertragen wieder zu einem neuen Wort für das überholte »Abhängen« wird. Das ist aber wohl nicht alles. Vielleicht sollte ich FLEXEN, das im vergangenen Juni im Verbrecher Verlag erschienen ist und das weibliche Flanieren in den Mittelpunkt stellt, lesen? Flexen in Miami bietet jedenfalls immer wieder Bilder, Anstöße und Einfälle, die Bedeutungsangebote darstellen, aber nicht ausbuchstabiert werden. Das gefällt mir sehr an dem Roman, auch wenn er zwischendurch immer mal wieder ein wenig zu sehr durchhängt.
Flexen in Miami ist ein sich räkelndes Debüt, das massig Diskurse in sich trägt und ein erstklassiges Kind seiner Zeit ist. Es vereint in sich die intermediale Internationalität, die diese Jahre bestimmen und spielt mit der Realität, die durch die vielen Fenster zu ihr immer mehr verschwimmt, sich potenziert und Glitches produziert. Fast wie ein Spiel, das Joshua Groß spielt. Ob dies nun den Protagonisten oder den Autor meint, ist wohl nicht aufzulösen.
Joshua Groß
Flexen in Miami
Matthes & Seitz Berlin
200 Seiten | 20 Euro
Erschienen im März 2020
Hallo Stefan,
ich habe den Roman nicht gelesen, aber „flexen“ heißt normalerweise „mit etwas angeben“, besonders mit Materiellem. Man flext z.B. auf jemanden mit seiner Uhr. In letzter Zeit auch gern in der Formulierung „weird flex“ gebraucht, als Kommentar zu jemandem, der versucht mit etwas anzugeben, was von der Mehrheit eher als peinlich empfunden werden dürfte.
Ergibt das Sinn im Zusammenhang mit dem Roman?
Vielen Dank für die wie immer interessante Rezension
Eva
Hallo Eva, ja, das könnte tatsächlich Sinn ergeben, denn der Protagonist macht in Miami fast nichts außer da zu sein. Das Stipendium könnte auch ein sinnloses Privileg zum Angeben sein, das stimmt!
Jugendsprache ist mir mittlerweile einfach ein Rätsel…
Liebe Grüße,
Stefan