Lässt sich Liebe in einer Beziehung ausleben, ohne die eigene Identität anzurühren? Leif Randt erzählt in Allegro Pastell (KiWi) die Geschichte von Tanja und Jerome, ganz nah am Heute, und doch mit großer Distanz, inhaltlich wie formal.
Tanja und Jerome treffen sich, verlieben sich, und werden sich doch nie haben. Leif Randt erzählt in Allegro Pastell von der Liebe der höchst gebildeten, höchst privilegierten Oberschicht, die in der Distinktion vor allem über die eigene Definition des Lebensstils funktioniert. Dieser setzt sich aus ganz bestimmten Prinzipien, die Handlungen und Konsum steuern, zusammen. Statussymbole sind nicht mehr so sehr durch ihren Geldwert, sondern vor allem durch ihren Distinktionsgewinn definiert. Überaus wichtig bleiben sie aber trotzdem, und auch Beziehungen, zu sich selbst wie zu anderen, gehören dazu und müssen immer wieder neu unter die Lupe genommen werden. Distinktion ist auch Stress.
Denn die beiden trennt genauso viel wie sie verbindet. Sie kommen aus der gleichen Schicht, haben wohlhabende Eltern mit eigenen Therapiepraxen und Frankfurter Innenstadtwohnungen. Ihnen hat es materiell nie an etwas gefehlt, weder beim Aufwachsen noch in ihren Erwachsenenleben. Sie ist Autorin mit einem hochgelobten Debütroman, er selbstständiger und gefragter Webdesigner. Jerome wohnt mittlerweile allein in dem Bungalow im Frankfurter Umland, in dem er aufwuchs, Tanja in einer Wohnung in Neukölln. Neben der Distanz trennt sie aber vor allem eins: ihre jeweilige Vorstellung von der eigenen Identität.
Allegro Pastell seziert genau, wie Tanja und Jerome sich in Schleifen immer wieder annähern und abstoßen, immer wieder analysieren, wie sie zu sich und dem aktuellen Beziehungsstatus stehen, wie beides sich zueinander verhält. Der Roman wählt dazu eine Perspektive, die vor allem auf Distanz setzt, und das in mehrfacher Hinsicht. Denn wie Tanja und Jerome, die sich mit dem Abstand zwischen Frankfurt und Berlin eigentlich ganz wohlfühlen, ist auch hier Distanz geboten, um genau beobachten zu können. Jerome wird zu Anfang so beschrieben:
Das Frühjahr 2017 begriff er im Nachhinein als spirituellen Wendepunkt. Mit dem Einzug in den Bungalow seiner Eltern hatte er entschieden, Bestätigung für seine äußere Persönlichkeit nur als Bonus zu begreifen, das tatsächliche Enjoyment musste von seiner inneren Persönlichkeit ausgehen. Seit er sich so sah, hatte sich Jerome oft unabhängig gefühlt. Freunden gegenüber sprach er aktuell von einer außergewöhnlich schönen Phase mit Tanja, so als wäre diese zeitlich ebenso begrenzt wie die Geschichten der vorausgegangenen fünfzehn Jahre.
Die Erzählhaltung ist höchst distanziert, wenn etwa psychologisch komplexe Entscheidungen in einem knappen Satz abgehandelt werden, große Gefühle wie Unabhängigkeit aber gleichzeitig durch das kleine Wörtchen »oft« relativiert werden. Die Darstellungsweise lässt Tanja und Jerome sehr arrogant und überaus distinguiert erscheinen, was sie überaus unsympathisch macht und eine Identifikation praktisch ausschließt. Das wird vor allem bei Tanja durch ein unaufhörliches Namedropping sämtlicher hipper Neukölln-Features noch unterstützt. Die Distinktionsorientierung wird auf die Spitze getrieben.
Das wird sprachlich noch unterstützt, indem Allegro Pastell im Stile eines Romans der klassischen Moderne erzählt. Dass dabei Begriffe wie »Enjoyment«, »Achtsamkeit« oder auch Emoticons nicht ausgespart werden, schafft eine Spannung, die anfangs sehr künstlich und gewollt wirkt. Mit der Zeit konnte ich mich aber gut daran gewöhnen und sie als Stärke des Romans sehen. Denn er will nicht gefallen, will keine gefälligen Protagonist:innen zeigen, biedert sich nicht an. Damit riskiert er, durchzufallen, und das gefällt mir dann doch sehr, muss ich zugeben. Vielleicht distinguiert sich der Roman damit zwar auch wieder nur, aber das geht vielleicht um eine Ecke zu viel.
Allegro Pastell ist ein auf allen Ebenen höchst eigenwilliger Roman, der aus der Distanz agiert und eine Liebesgeschichte zeigt, die einfach nicht gefallen will. Der Roman zieht daraus eine Stärke, einen Sog, die fast unwahrscheinlich wirken. Die Spannung zwischen Form und Inhalt, zwischen den Protagonist:innen und ihren Distinktionsvorstellungen trägt den Roman wunderbar. Er ist eine detaillierte Sezierung von etwa 30-Jährigen Generation-Y-lern aus der Oberschicht. Sogar auf dem Einband setzt sich die Spannung in der Kombination von traditioneller Goldprägung und hippem Filterbild fort.
Leif Randt
Allegro Pastell
Kiepenheuer & Witsch
288 Seiten | 22 Euro
Erschienen am 5.3.2020
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