Rechte Politik als Chance zum sozialen Aufstieg: Mercedes Spannagel schaut in ihrem mitreißenden Debütroman Das Palais muss brennen (KiWi) auf die desillusionierten Kinder rechter Familienclans und macht dabei so viel Spaß, dass es beinahe erschreckt.
Das Palais nennen Luise und Yara das neue Haus, in dem sie leben – wobei Haus vielleicht nicht das richtige Wort ist. Palast, Schloss vielleicht. Es ist viel zu groß, absurd groß, mit Räumen, für die es keinen Zweck gibt, oder man eben einen erfinden muss. Aber es ist aristokratisch. Und damit erfüllt es seinen Zweck. Denn Luise und Yara sind die Töchter der Bundespräsidentin Österreichs, einer rechten Politikerin, für die populistische Politik das Vehikel zum höchst unwahrscheinlichen gesellschaftlichen Aufstieg einer alleinerziehenden Mutter aus den Randbezirken Wiens ins Zentrum, die oberen Zehntausend geworden ist.
Mit der Bekanntheit und dem Erfolg kam das Geld, und mit dem Geld der Überfluss. Luise studiert Jura, Yara macht mehr oder weniger nichts. Sie hat ihr Zimmer in eine Höhle verwandelt, aus der sie nur herauszukommen scheint, um ihre Affäre mit dem Hundetrainer der Mutter zu pflegen. Oder Drogen zu besorgen, oder ab und an mit Luise und deren bester Freundin Lili Party zu machen. Luise ist zwar aktiver, doch sind Alkohol und Drogen immer sehr nah, wenn das Gefühlsleben über das erträgliche Maß hinaus wackelt. Auch ihr Mops Marx kann sie nicht ganz zur Ruhe bringen. Vereint sind die beiden Schwestern jedoch im Widerstand gegen ihre Mutter, deren Politik sie verabscheuen, von deren Geld und dessen Bequemlichkeiten sie sich aber auch nicht zu emanzipieren schaffen oder wagen.
Sie lag neben mir. Eines ihrer dunklen Beine lag auf dem Leintuch, das andere lag unter de Leintuch. Sie drehte den Kopf zu mir und schaute mich an, ein Blinzeln eher. Ich sah ein Stück ihrer Zunge. Ich antwortete ihr, dass heteronormatives Aufwachsen und Apathie Gründe dafür seien, dass ich vor ihr nie meinem Interesse an Frauen nachgegangen sei.
Ich sagte: Manchmal mache ich mir ein wenig Gedanken. Das mit dir ist mir einfach passiert.
Ich sagte: Manche Dinge passieren mir.
Luise erzählt Das Palais muss brennen in unnachahmlicher Art. Es ist die Mischung aus hoher Bildung und großer Apathie, Defätismus und Schmäh, die den Roman unwiderstehlich macht. Er erinnert mich sehr an die frühen Romane von Bret Easton Ellis, Unter Null und Einfach unwiderstehlich, nur dass die Generation X der 1980er mittlerweile zur Generation Z fortgeschritten ist. Und wir uns natürlich in einem fiktiven, aber gar nicht weit von der heutigen Realität entfernten Österreich befinden, das von Rechtspopulisten regiert wird bzw. diese die Bundespräsidentin stellen. Das Szenario war letztes Jahr – allerdings mit einem männlichen Rechtspopulisten – ja vollkommen greifbar.
Das Palais muss brennen ist das wahnwitzige Porträt neureicher Kids, die durchaus ihre eigenen Vorstellungen und Ideale haben. Der gesellschaftliche Bereich, in dem sie sich bewegen, ist dabei von Politik getränkt, doch sind es vor allem rechte Ränkespiele, wie sie auch in der Ibiza-Affäre zutage kamen, die sie bestimmen. Für die jungen Erwachsenen ergibt sich eine eigenartige Gemengelage: Sie sind abgestoßen von den politischen Handlungen ihrer Eltern und enttäuscht von ihnen als Eltern selbst, bis hinein in einen Zustand der absoluten Desillusion. Sie flüchten sich in alle verfügbaren Möglichkeiten, ihre Gefühle und auch ihre Zeit totzuschlagen. Und doch sind sie vom Geld der Eltern abhängig und erscheinen wenig bereit, dieses Privileg einfach sausen zu lassen, auch wenn sie es eigentlich verachten. Genau wie tief unten auch sich selbst.
Was für ein wahnwitzig gutes Debüt! Das Palais muss brennen schaut tief, schockierend und unterhaltsam in die Seele eines gespaltenen Landes ebenso wie in die der Generation Z. Immer in speziellen, besonders krassen Versionen, immer punktgenau und pointiert. Ein Spaß, der einen zwischen Brechreiz und Schmunzeln in der Schwebe hält und durchweg Lust auf mehr macht.
Mercedes Spannagel
Das Palais muss brennen
Kiepenheuer & Witsch
192 Seiten | 18 Euro
Erschienen am 10.9.2020