Kurz und knackig geht es in die nächste Runde, diesmal mit Gesichtserkennung von Roland Meyer, Ein großes Dankeschön von Lennardt Loß und Wir brauchen neue Namen von NoViolet Bulawayo.
Roland Meyer: Gesichtserkennung
Mal wieder eine digitale Bildkultur von Wagenbach! Die Serie hat bisher selten enttäuscht, und um es gleich vorwegzunehmen: Gesichtserkennung ist für mich ein absolutes Highlight. Roland Meyer erzählt ausgehend von der momentanen Lage die Geschichte der Gesichtserkennung und behandelt dabei die ihr schon immer eingeschriebenen Probleme. Denn es handelt sich in erster Linie um eine Technik, die immer im Dienst eines Zwecks steht. Bei Letzterem war in der Vergangenheit leider wenig Gutes bzw. viel gut Gemeintes, aber wenig wirklich Durchdachtes dabei.
Meyer hangelt sich also durch die Geschichte von Lavater bis Facebook. Er kann dabei überzeugend den technischen Fortschritt mit den sich nur leicht wandelnden Anwendungsgebieten verknüpfen. Schon immer geht es um das Böse oder vielmehr das gesellschaftlich Unerwünschte, das am Gesicht abgelesen werden soll. Früher aus der Physiognomie, heute durch den Vergleich mit riesigen Datenbanken, aus denen die Gesichter erkannt werden sollen. Gleich bleibt allerdings, dass die Ansätze stets aus der Mehrheitsgesellschaft heraus entwickelt werden und daher immer einen racial bias, eine rassistische Voreingenommenheit, tief eingeschrieben haben – allem Gerede von der Neutralität neuer Techniken zum Trotz. Ein brennendes Plädoyer für einen verantwortungsvollen Umgang mit einer Technik, die das Zeug hat, unsere Gesellschaft noch weiter zu spalten, wenn sie unüberlegt eingesetzt wird. [s]
Roland Meyer: Gesichtserkennung | Digitale Bildkulturen | Wagenbach | 80 Seiten | 10 Euro
Lennardt Loß: Ein großes Dankeschön
Irgendwo zwischen Harald Schmidt und Heinz Wäscher aus Kein Pardon siedelt sich Frank Lichtenberg an. Er war der Star der deutschen Late-Night-Talker, der vor einem guten Jahr Schluss mit dem Fernsehen machte, um sich zurückzuziehen. Um Leinwände und Farben um sich zu scharen und von diesem Zeitpunkt an nur noch zu malen, ganz für sich. Aus einer Laune heraus nimmt er nach einem Jahr die Einladung in eine unbekannte Talkshow des Saarländischen Rundfunks an, in der dann alles schiefgeht, was schiefgehen kann.
Lennardt Loß las 2018 beim Bachmann-Wettbewerb, sein Debüt Und andere Formen menschlichen Versagens erschien 2019. Ein großes Dankeschön ist die kleine Geschichte eines Mannes, der vom öffentlichen Leben zurücktritt, als er alles erreicht zu haben meint. Und der auf der allerhöchsten Wolke bleibt, dessen Stolz und vielleicht auch Arroganz es ihm nicht erlauben, sich auf andere Menschen einzulassen, was ihn am Ende selbst schlagen wird. Eine kleine Geschichte, die an das Menschliche im Menschen appelliert, an die kleine Freundlichkeit, die auch dem größten Star nicht schwerfallen sollte. Allein schon für das eigene Seelenheil. [s]
Lennardt Loß: Ein großes Dankeschön | Das Gramm #3 | Abo für 24 Euro im Jahr
NoViolet Bulawayo: Wir brauchen neue Namen
Simbabwe 2008, eine Präsidentschaftswahl steht an, und mit ihr die Aussicht auf Veränderung. Doch die Aufbruchsstimmung ist schwer zu fassen in einem Land, das seit Jahrzehnten unter Korruption, Misswirtschaft und Diktatur leidet. In dem die Bevölkerung immer wieder vertrieben, immer weiter in die Armut getrieben wird. In dieser Zeit wächst Darling auf, in einem Slum von Bulawayo, der zweitgrößten Stadt Simbabwes. Ihr Vater ist schon lange weg; nach Südafrika, um Geld zu verdienen, wie so viele Männer und Frauen. Die AIDS-Krise ist auf dem Höhepunkt, die einheimische Währung wird durch Hyperinflation zerstört.
Kaum vorstellbar, wie fröhlich Wir brauchen neue Namen in diesem Setting daherkommt. Aus dem Mund der kindlichen bis jugendlichen Darling erzählt, ist der Roman von einer großen Leichtigkeit getragen, die jedoch durch das nebenbei durchscheinende Grauen des zerstörten Landes kaum gegen die dunklen Untertöne bestehen kann. Als Darling dann zu einer Tante in die USA kommt, könnte alles besser werden. Doch die Migration bringt auch ihre Tücken mit sich, nicht zuletzt eine ewige Schuld. Die Schuld begleitet diejenigen, die es aus dem Elend geschafft haben, ein Leben lang. Lässt sie für die Familie in der Heimat schuften, doch sie werden sie nie loswerden.
Ein sehr emotionaler Roman, der die Möglichkeiten der naiven Kinderperspektive sehr gut nutzt, um Fröhlichkeit und Elend direkt nebeneinanderzustellen. Auch wenn manche kindlichen Auswüchse von Rassismus, Sexismus und anderem nicht zwingend ins Buch gemusst hätten – eine absolut bereichernde Lektüre. [s]
NoViolet Bulawayo: Wir brauchen neue Namen | Suhrkamp | 261 Seiten | 10 Euro