Brandon Taylor: Real Life

Schwarzsein im mittleren Westen der USA: Brandon Taylor erzählt in seinem Debütroman Real Life aus dem weißen Heartland der Vereinigten Staaten, in dem es Schwarze und PoC auch heute noch schwer haben, als vollwertige Menschen gesehen zu werden. Selbst im akademischen Bereich.

Brandon Taylor: Real Life

Wallace ist allein. Natürlich sind da andere Menschen, Fremde, Freund*innen, Kolleg*innen, Bekannte. Sie sind da, wenn er im Labor an seiner Promotion arbeitet, und auch, wenn er durch die kleinere Universitätsstadt irgendwo im Mittleren Westen der USA nach Hause läuft. Wenn er mit anderen abends an einem Tisch am See sitzt, bei einem Dinner, oder auch in seiner Wohnung, wenn sein neuer Crush da ist.

Doch allein bleibt er, egal wie viele Menschen um ihn herum sind. Er fühlt sich ungehört, ungesehen, unverstanden als Mensch unter anderen Menschen. Das liegt nicht mehr an seiner Sexualität – Wallace ist schwul, was ihm große Konflikte mit seinen Eltern und seinem Umfeld in den Südstaaten bereitet hat. Doch hier, in der Universitätsstadt im mittleren Westen, ist das kaum noch ein Thema. Ganz anders dagegen seine Hautfarbe. Wallace ist Schwarz, wie sonst niemand in seinem erweiterten Umfeld.

Einmal hat er versucht, Simone zu erklären, wie Katie mit ihm spricht. Wie mit einem Schwachkopf. »So redet sie mit niemandem sonst, nur mit mir.« Simones Antwort: »Wallace, mach nicht so ein Drama. Dahinter steckt kein Rassismus. Du musst einfach mal aufholen und dich noch mehr anstrengen.«

Real Life verfolgt Wallace’ Leben für ein ereignisreiches Wochenende. Gegen seinen Willen lässt sich Wallace immer wieder auf Treffen mit seinen Freunden ein, obwohl er eigentlich allein sein will. Rutscht in eine Affäre mit einem Hetero-Crush, die ihn an die Grenzen der Belastbarkeit bringt. Bekommt Probleme im Labor, da ein langwieriges Experiment auf mysteriöse Weise misslingt. Mischt sich in die Beziehung eines befreundeten Pärchens ein, um zu helfen. Oder vielleicht doch nur um sich selbst im auf die Spitze getriebenen Konflikt zu spüren, in der Zurückweisung, in der Unbequemlichkeit der Situation?

Bei ihm verhärten sich die jahrelangen Erfahrungen aus rassistischer und klassistischer Diskriminierung zu einer inneren Verkrustung, die es ihm unmöglich macht, sich anderen vertrauensvoll zu öffnen. Immer wieder erleben wir, wie er an Situationen scheitert, da ihm die Vermittlung zwischen eigenem Bedürfnis und den Ansprüchen anderer an ihn nicht gelingen will. Und es ihm zuweilen auch unmöglich gemacht wird, sich zu verteidigen, wenn andere ihm Böses wollen.

Wir verfolgen, wie Wallace eine menschliche Beziehung nach der nächsten in die Brüche gehen lässt, wie er es in einem Gespräch nach dem anderen nicht schafft, sich verständlich zu machen. Und wie seine Gegenüber genauso daran scheitern, ihn richtig zu hören. So wird alles immer schlimmer, für alle. Der Roman exerziert dies anhand von ausufernd langen Szenen, meist Gesprächen, die einfach nicht enden wollen und sich dauernd im Kreis bewegen. Das illustriert Wallace’ Leid sehr ausdrücklich, ist aber gleichzeitig auch sehr quälend und wenig motivierend zu lesen.

Nicht von ungefähr erinnert der Titel Real Life an A Little Life, auch die Coverabbildung zitiert das große Vorbild. Und genau wie der Roman von Hanya Yanagihara muss sich Real Life den Vorwurf gefallen lassen, dass er einfach immer weiter auf seinen Protagonisten einschlägt, immer weiter Mitgefühl mit ihm hervorrufen will, und es dabei nicht schafft, einen erzählerischen Bogen zu machen. Es gibt zwar am Ende ein klein wenig Licht am Ende des Tunnels – das wäre aber gar nicht zwingend nötig, wenn es irgendeine Entwicklung geben würde.

Real Life ist das Porträt eines Schwarzen aus einfachen Verhältnissen im grundweißen Mittleren Westen der USA. Es veranschaulicht seinen Kampf um Anerkennung in einer Umgebung, die von rassistischer Diskriminierung untergraben ist und ihm einen gleichwertigen Platz verweigert, was ihn sich immer weiter verhärten lässt. Ein quälender Roman, der es seinen Leser*innen nicht leichter macht als seinem Protagonisten.

Brandon Taylor: Real Life

Brandon Taylor

Real Life

Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Bonné

Piper

352 Seiten | 22 Euro

Erschienen am 3.5.2021

Kategorie Blog, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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