Andreas Speit: Verqueres Denken

Kaum ein Thema hat seit 2020 die Nachrichten und Feuilletons neben dem Coronavirus selbst so dominiert wie die Querdenker. Andreas Speit macht dies zum Aufhänger für sein Buch Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus, das allerdings breiter angelegt ist, als es der Titel zunächst nahelegt.

Andreas Speit: Verqueres Denken

In Berlin sind wir besonders betroffen. Auf der einen Seite gibt es sehr viele Menschen in prekären Wohnverhältnissen mit zu vielen Leuten auf zu wenig Platz. Am Arbeitsplatz sieht es für diese Menschen meist auch nicht besser aus, da viele in un- oder kaum regulierten Verhältnissen ihr Geld verdienen. Perfekte Voraussetzungen für das Coronavirus, sich zu verbreiten. Doch auch von der anderen Seite ist Berlin immer wieder Dreh- und Angelpunkt, da sich hier, im Nabel der Republik, Protestbewegungen zusammenfinden, um nationale Geschlossenheit zu demonstrieren.

So geschehen in den letzten zwei Jahren vor allem von den sogenannten Querdenkern. Die geschützte Marke von Gründer Michael Ballweg vereint verschiedenste Menschen in ihrem Protest gegen die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Oder gegen die Existenz des Virus, oder gegen den Einsatz des Virus als biologische Waffe gegen das Volk, oder … Na ja, über Verschwörungserzählungen haben wir in den letzten Jahren viel gehört und gelesen, und diese sind es, die einen großen Teil – wenn auch nicht alle – Menschen hier zusammenbringen.

Andreas Speit nimmt das Aufkommen der Querdenker-Bewegung zum Anlass für seinen Band Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus. Zielt der Haupttitel vor allem auf die Corona-Protestbewegung, erweitert der Untertitel auf ganz allgemein alternative, also nicht dem Mainstream angehörende Milieus. Wie sich zeigt, sammeln sich diese in den Querdenker-Protesten durch die Bank, sodass der Aufhänger gut gewählt ist.

So geht Speit einmal quer durch die Milieus oder Szenen. Bei den Querdenkern liegt natürlich der Ursprung. Hier fällt auf, dass es nur zwei einigermaßen gesicherte wissenschaftliche Studien zu der Zusammensetzung und den Einstellungen innerhalb der Bewegung gibt. Wenig Material, auf dem man aufbauen könnte. Immerhin nimmt Speit dann noch diverse Recherchen zu Kontakten und Verbindungen in der Leitung der Bewegung unter die Lupe, sodass hier mehr oder weniger alle Informationen, die momentan verfügbar sind, zusammengetragen und mit weiteren Studien kombiniert werden. Strukturiert werden Speits Ausführungen von dem Konzept der »Conspirituality«, der Mischung aus Verschwörungserzählungen und Spiritualität bzw. Esoterik, die den Boden der Bewegung bildet und aus den USA importiert wurde.

Von der Querdenker-Bewegung geht es dann weiter zu älteren Bewegungen, die sich in dieser zu unterschiedlichen Teilen wiederfinden. Das sind die Impfkritik, Anthroposophie, Anastasia-Bewegung und rechte Naturesoterik sowie die Vegan- und Tierrechtsbewegung. Alle werden in teilweise sehr detaillierten Kapiteln erklärt und ihre Geschichte mit den diversen Seitenströmungen dargelegt.

Besonders interessant fand ich dabei das Kapitel zur Vegan- und Tierrechtsbewegung, da es mich als Veganer besonders anspricht. Ich wusste natürlich, dass es in der Bewegung viele problematische Menschen gibt, die mit Holocaust-Vergleichen und faschistischen Einstellungen auffallen. Hier wird das alles noch mal sehr schön untermauert. Hinzu kommen Blicke auf Extinction Rebellion und dessen Mitgründer Roger Hallam.

Verqueres Denken kann mit sehr gut recherchierten und dargestellten Kapiteln glänzen, die verschiedene Milieus im rechts-alternativen Raum unter die Lupe nehmen und ihre Geschichte und Motive in den stärksten Ausprägungen erklären. Was mir dabei fehlte, war ein stärkerer innerer Zusammenhang, eine zentrale These, die die Kapitel in einen größeren Rahmen stellt als nur das lose Auffinden der Strömungen bei den Querdenker-Protesten. Ein wenig wirkt es so, als sei das Querdenker-Kapitel extra für das Buch entstanden und der Rest dann noch dazugepackt worden. Das schmälert nicht die darin enthaltenen Informationen, wirkt aber mitunter etwas mehr wie die gesammelten Kolumnen von Andreas Speit (»Der rechte Rand« in der taz) als ein Buch aus einem Guss.

Trotzdem ist Verqueres Denken ein essenzielles Buch für alle, die die Motive und Splittergruppen in der Bewegung näher kennenlernen wollen. Zuweilen mehr mit dem Charme von gesammelten Antifa-Infoblättern als einem durchgeschriebenem Sachbuch, aber das ist ja auch nicht das Schlechteste.

Andreas Speit

Verqueres Denken

CH. Links

240 Seiten | 18 Euro

Erschienen im Juni 2021

Kategorie Blog, Rezensionen, Sachbuch
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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