Wie wird Umweltschutz breitenwirksam? Milo Probst sucht in Für einen Umweltschutz der 99%. Eine historische Spurensuche nach Ansätzen, um die Schranken des bisweilen eher elitären Umweltschutzes zu überwinden.
Umweltschutz ist in der Breite angekommen, was der diesjährige Bundestagswahlkampf eindrücklich zeigt. Kompetenz und Inkompetenz auf dem Gebiet ist zumindest gefühlt ein ausschlaggebender Faktor in diesem Jahr, wie der Fall von Armin Laschet nach den schweren Überflutungen in Deutschland zeigt. Die weiterhin durchschnittlichen Werte der Grünen bzw. von Annalena Baerbock zeigen jedoch auch die andere Seite: Angst.
Nicht nur die Wirtschaft hat Angst vor einer tatsächlichen Umsetzung von grüner Politik, die dem blinden Streben nach Wachstum ohne Rücksicht auf Verluste einen Riegel vorschieben müsste. Ob das Programm der Grünen das jetzt schon wirklich sagt, sei mal dahingestellt. Aber auch die »normalen« Menschen, um mal Wolfgang Thierse zu zitieren, haben zu größeren Teilen Angst oder zumindest starke Vorbehalte vor der politischen Betonung des Umweltschutzes. Denn ihm und der gesamten Bewegung haftet ein elitärer Anstrich an, den es loszuwerden gilt, wenn unser Plant eine grüne Zukunft haben soll (also nicht bald wie der legendäre Wüstenplanet aus Dune mit Ozeanen aussehen soll).
Milo Probst setzt sich in Für einen Umweltschutz der 99% genau dies zum Ziel. Er möchte ein Programm entwerfen, das mehrheitsfähig ist. Und das in globalem Rahmen. Denn als Ursache der massiven Umweltzerstörung, mit der wir es zu tun haben, sieht er den globalisierten Kapitalismus und dessen ungebremste Wachstumsideologie. Um nun ein wirkliches, global wirksames Projekt daraus werden zu lassen, sind ebenso Intersektionalität, Wiederanschluss an soziale Bewegungen wie die klassische Arbeiter*innenbewegung vonnöten.
Einem Umweltschutz der 99%, dessen Konturen in diesem Buch erkundet werden sollen, geht es nicht darum, die Natur ihrem Schutze zuliebe vom Menschen fernzuhalten. Umweltschutz der 99% muss ein enges Verhältnis des Naturschutzes hinter sich lassen und alle Dimensionen der aktuellen gesellschaftlichen Krise in ihren Zusammenhängen verstehen und gleichzeitig adressieren.
Die Methode, mit der Milo Probst dann weiter vorgeht, zielt allerdings nur indirekt auf die aktuelle Krise. In seiner historischen Spurensuche pickt er sich bestimmte anarchistische Projekte vor allem aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert heraus, die ausreichend überliefert sind und in denen Umweltschutz in der Arbeiter*innenbewegung eine Rolle spielt. Thematisch zielen die historischen Miniaturen dabei auf zentrale Aspekte, wie etwa Gesundheit, Antirassismus, Feminismus und Eigentum.
Probst legt dabei Wert darauf, nicht alle anarchistischen Ansätze als solche zu verherrlichen und auch Kritik an einzelnen Aspekten zu üben. Das ist gut, bewahrt die Miniaturen aber nicht davor, in einen nostalgischen Ton abzugleiten und die porträtierten Personen zu glorifizieren. In manchen Fällen macht es den Eindruck, dass die historische Dokumentation der anarchistischen Projekte den Zweck der Darstellung – nämlich historische Ansätze für zugänglichen Umweltschutz zu zeigen – überwiegt und der Umweltschutz aus dem Fokus gerät.
Im Gegensatz zu anderen Titeln wie Schubumkehr von Stephan Rammler oder Wir Untoten des Kapitals von Raul Zelik sind die historischen Beispiele nicht in eine übergeordnete Argumentation integriert, sondern stehen für sich. Mit der fehlenden Zuspitzung der Beispiele an sich macht das einen etwas beliebigen Gesamteindruck. Es steht ganz klar der Aspekt der Spurensuche im Vordergrund, während der Charakter der Streit- oder Programmschrift, den der Haupttitel nahelegt, eher im Hintergrund bleibt.
Für einen Umweltschutz der 99%. Eine historische Spurensuche von Milo Probst erforscht anarschistische Projekte der Arbeiter*innenbewegung vor allem des 19. Jahrhunderts, die linken Umweltschutz beinhalteten. Über der Geschichtsschreibung geht dabei aber leider der Fokus etwas zu sehr verloren, sodass der Titel eher als Geschichte des anarchistischen Umweltschutzes verstanden werden sollte denn als Streitschrift. Dazu fehlt es dem programmatischen Teil einfach zu sehr an Tiefe.
Milo Probst
Für einen Umweltschutz der 99%
Eine historische Spurensuche
Edition Nautilus
200 Seiten | 16 Euro
Erschienen im September 2021