Ariane Koch: Die Aufdrängung

Wie ist es um unser Bild von Fremden bestellt? Ariane Koch lässt in ihrem furiosen Debüt Die Aufdrängung ihre Protagonistin mit einem Gast kollidieren und sich immer weiter in Widersprüche verstricken. Ein starkes Stück Literatur.

Ariane Koch. Die Aufdrängung

Vieles spielt sich ja literarisch, gerade in der aktuellen Literatur, irgendwie im Bereich des »Normalen« ab. Natürlich nicht so sehr in Genres wie Fantasy oder Science Fiction, aber gerade die sogenannte Hochliteratur ist doch viel in einem sehr diesseitigen Realismus verhaftet. Dazu noch sehr in der direkten Zielgruppe bzw. ähnlichen Milieus wie die Autor*innen und deren Protagonist*innen. Natürlich gibt es Ausreißer, aber vieles verbleibt in diesem Rahmen.

Da ist es immer wieder erfrischend, Bücher zu lesen, die aus dem Rahmen fallen. Die Aufdrängung von Ariane Koch wurde schon vielfach besprochen und prämiert, und das auch für mich komplett zurecht. Die erzählende Protagonistin ist widerborstig, eigenwillig, verschroben und komplett unzuverlässig – und damit sehr erfrischend. Man weiß hier einfach nie, was wirklich Sache ist, da das Erzählen von Lücken geprägt ist, von einer Verknappung, die die einzelnen Kapitel bis ins Aphoristische zusammenstutzt. Gleichzeitig gibt es aber auch Momente der Ausschweifung, eines ausfransenden Selbstgesprächs, die immer wieder mit der harten Knappheit mancher Aussagen kollidieren.

Manchmal denke ich, ich sollte nicht mehr vom Weggehen sprechen, weil ich schon zu viel vom Weggehen gesprochen habe. Ich spreche jeden Tag vom Weggehen und werde nie müde davon. Ich frage mich, ob man nur irgendwo bleiben kann, indem man ständig vom Weggehen spricht. Wer nämlich nur vom Bleiben spricht, der ist doch innerlich schon längst weggegangen, oder?

Es geht in Die Aufdrängung um ein kleines Kaff in der Schweiz, in dem die Erzählerin lebt. Eines Tages kommt dort ein Fremder an, den die Erzählerin dann bei sich aufnimmt. Doch sie nimmt trotz dieser freiwilligen Geste seine Anwesenheit immer mehr als Zumutung war – als Aufdrängung eben. Unfähig, damit umzugehen, windet sie sich in ihren zwiespältigen Gefühlen.

Es ist ziemlich eigenartig, den Roman inhaltlich zusammenfassen zu wollen. Denn was hier wirklich passiert, ist eigentlich komplett unklar und aus der Rede der Erzählerin kaum zu rekonstruieren. Zu groß ist ihre Fantasie, ihre Lust am Hinzufantasieren. Und gleichzeitig auch ihre Unzufriedenheit mit ihrem Leben, die sie beständig auf den »Gast«, wie sie ihn nennt, projiziert.

Aber gerade darin liegt der so interessante Kern von Die Aufdrängung: Das Buch ist eine komplett ambivalente, emotional aufgeladene und sich beständig widersprechende Reflexion über die Dimensionen des Fremden oder Anderen und des Eigenen, über Identität, Zugehörigkeit und Migration. Auch wenn das kaum jemals eigentlich Thema ist.

Doch gerade die emotionalen Bewegungen, die sich aus dem Gedankenfluss der Erzählerin ergeben oder hinter ihm stehen, scheinen auf eine unterbewusste oder auch versteckt gehaltene Beschäftigung mit den genannten Themen hinzudeuten. Und in diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage: Was lesen wir hier eigentlich? Weiß die Sprechende um ihr Gelesenwerden und spielt mit uns? Klar ist es nicht – wie eigentlich nichts in Die Aufdrängung –, nahe liegt es aber doch.

Die Aufdrängung von Ariane Koch ist Literatur, wie ich sie mir wünsche. Rätselhaft, verschroben und niemals festzulegen. Dies ist ein Buch, über das sich wunderbar diskutieren und dabei niemals auf eine halbwegs eindeutige Aussage oder Interpretation festlegen lässt. Und das beim Lesen durch die Sprache der Protagonistin und ihre Themensetzung immer wieder überrascht und Spaß macht.

Ariane Koch

Die Aufdängung

Suhrkamp

179 Seiten | 14 Euro

Erschienen im August 2021

Kategorie Blog, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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